Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin
keineswegs ihn, Nestor, gemeint hat. Tatsächlich war auch sie dem schönen Lysander verfallen. Ihr aber mußte es gelungen sein, den beiden Männern im letzten Augenblick zu entkommen – wenn auch nur, um im Kloster den Wunden zu erliegen, die der Ritter ihr zugefügt hat.
Nestors Verehrung für Morgantus wandelt sich in Furcht. Er wagt nicht, ihm zu widersprechen, und nimmt an seinem ersten Bad im Blute teil. Gegen seinen Willen empfindet er dabei ein wunderbares, belebendes Gefühl. Er beginnt, den Worten des Ritters Glauben zu schenken. Auch Nestor will nun ewig leben, und er weiß, daß ihm das nur an der Seite Morgantus’ gelingen kann.
Maras Tod kann er dennoch nicht vergessen. Aber er gibt nicht dem Ritter die Schuld daran. Schließlich war es Lysander, der sie ausgesucht und ihre Liebe mißbraucht hat. Morgantus ist ein Ritter des Herrn, ein Auserwählter auf einer Mission in die Ewigkeit. Sein Knappe aber muß der Teufel selbst sein.
Nestor weiß, daß er Lysander eines Tages töten wird.
Nach drei Jahren beschließt Morgantus, seine Reise zu beenden und sich in die Obhut seines Ordens zu begeben.
Er hofft, im Schutze eines Templerklosters seine Forschungen zügiger vorantreiben zu können. Plötzlich ist er nicht mehr sicher, daß sein Weg, die Unsterblichkeit zu erlangen, tatsächlich der beste ist. Es muß andere geben, erklärt er seinen Schützlingen. Freilich, schränkt er ein, sie alle mögen Blut erfordern. Doch was ihm fehle, sei die völlige Gewißheit, ja, der endgültige Beweis für die erhoffte Wirkung.
Hoch in den Bergen finden sie Aufnahme in einem abgelegenen Kloster des Ordens. Die Mauern der Anlage sind achteckig, etwas, das Nestor noch bei keiner anderen Festung gesehen hat – und eine Festung ist das Templerkloster ohne jeden Zweifel. Man erkennt sogleich, daß seine Erbauer Krieger waren, keine schlichten Mönche wie jene, denen Nestor einst angehört hat.
Nestors Haß auf Lysander ist ungebrochen. Er kümmert sich nun vor allem um die Kräuter und Essenzen, die Morgantus für seine Versuche benötigt. Immer öfter bringt der Ritter die Sprache auf eine Pflanze, die er das Gilgamesch-Kraut nennt. Jene sei, so glaubt er, das einzige Mittel, mit dem sich die Unsterblichkeit auf ewig gewährleisten lasse. So erfährt Nestor, daß die jahrelangen Reisen des Ritters vor allem der Suche nach dieser Pflanze galten. Wiewohl ohne Erfolg.
Und erstmals beginnt Nestor, an der gottgewollten Allmacht seines Meisters zu zweifeln.
KAPITEL 7
Eine von Lysanders frühesten Erinnerungen.
Seine Mutter stirbt auf dem Scheiterhaufen. Zwei junge Mädchen aus der Nachbarschaft wollen beobachtet haben, wie die Frau beim Beerenpflücken im Wald zwei Äste an ihren Kopf gehalten hat und aussah wie ein Ziegenbock; dabei habe sie gelacht. Die Mädchen haben es ihren Eltern erzählt, und die sind zum Dorfvorsteher gegangen. Der Vorsteher hat sich mit dem Priester beraten. Der Priester hat die Heilige Inquisition bestellt.
Niemand kennt Lysanders Vater. Seine Mutter hat ihm erzählt, es sei ein umherziehender Händler gewesen, der sie verließ, als sie ihm gestand, daß er sie mit einem Kind gesegnet habe. Keiner hat je daran gezweifelt. Viele haben es mißbilligt, aber niemand hat die Geschichte in Frage gestellt. Doch jetzt, da bewiesen ist, daß Lysanders Mutter mit dem Gehörnten im Bunde ist, beginnen einige, die Herkunft des Jungen anzuzweifeln. Noch während seine Mutter sich schreiend am Pfahl windet und die Flammen immer näher kommen, zeigen die ersten mit dem Finger auf den kleinen Jungen am Fuße des Scheiterhaufens.
Lysander weint so heftig, daß er die Anschuldigungen nicht bemerkt. Zwei Männer müssen ihn festhalten, damit er nicht zu seiner Mutter ins Feuer springt. Er ist noch ein Kind, aber die beiden Männer werden später schwören, er habe sich mit der Kraft eines Erwachsenen gewehrt. Niemand denkt daran, daß das an seiner Verzweiflung liegen könnte. Alle flüstern nur: Der Teufel, sein Vater, gibt ihm solche Kraft!
Lysanders Mutter verbrennt vor seinen Augen. Er sieht, wie die Flammen sie erreichen, an ihren nackten Beinen emporklettern wie ein Schwarm leuchtendroter Waldameisen. Ihr Mund formt Worte, obgleich doch ihr Unterkörper bereits wie eine Fackel lodert. Selbst über das Fauchen des Feuers hinweg hören alle, wie sie betet. Nicht zu Satan, sondern zu Gott dem Allmächtigen. Sie betet, daß er sich ihres Sohnes annehme und ihn beschütze. Das Feuer muß ihre Seele
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