Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin
gerät in Morgantus’ Bann. Die Tatkraft des Ritters imponiert ihm. Er beginnt, von Reisen in die Ferne zu träumen, von Schlachten im Namen des Herrn. Der Ritter ist ein heiliger Mann, ohne Frage, er trägt alle Insignien des Herrn, aber er ist auch ein Kämpfer. Einer, der für Gerechtigkeit sorgt.
Gemeinsam mit Morgantus ist ein junger Mann ins Kloster gekommen, der Knappe des Ritters. Er ist, wie manche Mönche sogleich bemerken, ausgesprochen hübsch, spricht nicht viel, sorgt penibel für das Pferd seines Herrn, wirkt schüchtern und zurückhaltend. Manchmal sieht man ihn an den folgenden Tagen im Sonnenlicht auf dem Hofe sitzen und die Rüstung des Ritters polieren. Bisweilen müht er sich am Waschzuber, Flecken aus dem weißen Templergewand seines Herrn zu waschen. Einige der Mönche munkeln, es sei das Blut von Heiden und Ketzern. Die Achtung vor dem Krieger im Auftrage Gottes wächst mit jedem Sonnenaufgang.
Nach einer Woche bietet sich Nestor die Gelegenheit, einige Worte mit dem schweigsamen Knappen zu wechseln. Der Junge ist in Nestors Alter, vielleicht ein wenig jünger. Er kommt in den Kräutergarten und bittet um ein Mittel, mit dem er den hartnäckigen Flecken im Gewand des Ritters zu Leibe rücken kann. Nestor gibt ihm ein paar Halme Weidenpflug und erfährt im Austausch den Namen des Jungen. Lysander ist ein schöner Name, findet er, schöner als sein eigener.
Morgantus und Lysander wollen noch zwei weitere Wochen im Kloster bleiben und dann erst ihre Reise fortsetzen.
Nestor weiß, daß das Heidentum die Schuld an Gottes Schwächen trägt. Je mehr Ungläubige das Antlitz der Welt beschmutzen, desto schlimmer die Ungerechtigkeiten unter den Menschen. Solange Gott durch seine Widersacher abgelenkt wird, ist seine Sicht getrübt. Schreckliche Dinge geschehen, während er gezwungen ist, seinen Blick auf die Barbarei der Heidenvölker zu wenden. Dinge wie Maras Tod.
Nestor beschließt, daß Beten allein nicht der richtige Weg sein kann. In ihm wächst die Überzeugung heran, daß man dem Elend mit Feuer und Schwert entgegentreten muß, so wie der Herr es manchen Auserwählten aufträgt. Am dreizehnten Tag nach der Ankunft des Ritters trifft Nestor eine Entscheidung: Er will Morgantus bitten, ihm dienen zu dürfen, um dereinst ein Tempelritter zu werden wie er.
Mit Hilfe des Knappen Lysander gelingt es ihm, Morgantus in seiner Kammer zu besuchen. Der Ritter hat dort allerlei Flaschen, Tiegel, Beutel und Bücher aus seinem Bündel ausgepackt. Über kleiner Flamme kochen bunte Flüssigkeiten. Seltsame Gerüche liegen in der Luft, und fast sieht es aus wie in der Küche des Kräuterkundigen. Nestor fühlt sich in der Nähe des gelehrten Ritters auf Anhieb wohl.
Sie reden lange miteinander, und Morgantus zeigt sich überaus angetan von Nestors Kräuterkünsten. Schließlich läßt Nestor sich hinreißen, ihm von Mara zu erzählen. Der Ritter horcht auf und wirft Lysander, der schweigend in einer Ecke steht, einen langen Blick zu. Für einen Moment glaubt Nestor, er habe einen Fehler begangen, doch dann besänftigt Morgantus ihn mit weisen, freundlichen Worten.
Ja, denkt Nestor begeistert, ich will werden wie er! Fast zwei Monde reitet er an der Seite des Ritters und seines Knappen durchs Land, ehe er Morgantus’ Geheimnis erfährt.
Der Tempelherr hat das Rätsel des ewigen Lebens gelöst. Wichtigste Zutat ist das Blut junger Mädchen, denn es trägt die Essenz aller Lebenskraft in sich. Eindeutiger Beweis dafür ist, daß nur Frauen Leben schenken können, aus ihrem Schoß werden Kinder geboren. Doch bis es dazu kommt, bleibt die Lebenskraft der Ungeborenen ungenutzt in ihrem Blut. Morgantus muß es wissen, denn er badet regelmäßig darin, um sein Leben zu erhalten. Gelegentlich läßt er Lysander an diesen Bädern teilhaben. Und er hat beschlossen, auch Nestor in seine Geheimnisse einzuweihen.
Die Mädchen bringt er mit der Hilfe seines Knappen in seine Gewalt. Es geschieht immer auf die gleiche Art und Weise: Lysander betört in einem Dorf mit seiner Schönheit ein junges Mädchen und lockt es in den Wald. Dort aber verweigert er ihm die Liebe, denn, so behauptet er, er habe sich allein Gott dem Herrn versprochen. Dann verschwindet er. Die verliebten Mädchen verzweifeln, reißen von zu Hause aus und folgen dem schönen Jungen in die Ferne. Dabei laufen sie Morgantus direkt in die Arme.
Nestor begreift, daß Mara mit ihren Worten über »wahre Liebe, die unerreichbar in Gottes Schoß ruht«
Weitere Kostenlose Bücher