Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin
als das Mädchen starb, das er liebte?
Allmählich kommt Lysander zu der Überzeugung, daß in Nestor ein tiefer, tödlicher Haß wurzelt, der nur darauf wartet, Früchte zu tragen. Haß auf Lysander, aber auch auf seinen Meister Morgantus.
Der große Tag. Nach fünf Jahren im Templerkloster werden Lysander und Nestor endlich in den Orden aufgenommen. Einige Tage zuvor hat man beide zu Rittern geschlagen. Die endgültige Zeremonie des Beitritts nimmt der Provinzmeister in Anwesenheit vieler Ordensbrüder vor. Morgantus ist nicht dabei; er arbeitet wie jeden Tag in seiner Hexenküche.
Nach zahlreichen Fragen und Antworten, die die Anwärter auf Leib und Seele prüfen, macht man sie offiziell mit den strengen Gesetzen des Ordens vertraut. Von den Geheimnissen der Templer wird nicht gesprochen. Christen werden zu Mitgliedern eines christlichen Ordens.
Keine Maskerade, denkt Lysander beeindruckt, ist perfekter als die des einen, wahren Glaubens.
Non nobis, Domine, non nobis sed nomine tuo da gloriam.
Was für eine Posse!
Ein unerhörter Vorfall! Eine Entweihung des Klosters! Am Tor sind zwei Frauen aufgetaucht, Mutter und Tochter. Nach tagelangem Marsch durch die Berge sind sie schmutzig und heruntergekommen. Sie verlangen, mit Morgantus zu sprechen. Mehr als ein Dutzend Ordensbrüder stehen an den Fenstern und schauen zu, wie Morgantus zu den beiden ins Freie tritt. Er führt sie zum nahen Waldrand. Die ältere Frau redet heftig auf den Tempelritter ein, kennt keine Demut vor einem Manne Gottes. Die Tochter steht schweigend dabei. Sie muß sechzehn oder siebzehn Jahre alt sein.
Nach einer Weile, die Sonne sinkt bereits den schneebedeckten Gipfeln entgegen, kehrt Morgantus mit den beiden zurück zum Tor.
Er gebietet den Wächtern, sie einzulassen. Ein Streit entspinnt sich, denn Frauen ist der Zutritt zu einem Kloster des Templerordens strengstens verboten. Doch Morgantus ist mächtig, die Brüder respektieren ihn, und schließlich setzt er seinen Willen durch.
Von seinem Platz am Fenster aus beobachtet Lysander fassungslos, wie Morgantus mit den Frauen im Gebäude verschwindet. Als er zum Tor eilt, Nestor dicht auf seinen Fersen, erfährt er von den Wächtern, daß Morgantus die beiden mit in seine Gemächer genommen hat. Lysander und Nestor laufen ihnen nach und bitten um Einlaß und Erklärung, doch ihr Meister gibt keine Antwort. Im Inneren der Kammer herrscht Stille.
Die ältere der beiden Frauen ist tot. Ihre Tochter erwartet ein Kind.
Morgantus wird zur Rechenschaft gezogen, doch keiner zieht seine Verteidigung in Zweifel: Die tote Frau sei das Weib seines Bruders gewesen; als jener starb, habe sie, die gleichfalls an einer tödlichen Krankheit litt, Morgantus um Hilfe für ihre schwangere Tochter ersucht. Morgantus habe die beiden aufgenommen, weil ihm die Nächstenliebe wichtiger sei als die Gesetze des Ordens. Er erhält dafür eine Verwarnung und muß viele Stunden in der Kapelle beten. Das schwangere Mädchen darf in einem Anbau des Klosters leben, bis sie ihr Kind zur Welt gebracht hat.
Ist Lysander wirklich der einzige, der an den Ausführungen seines Meisters zweifelt?
Verfluchter Nestor! Er hat Schande über den ganzen Orden gebracht.
Bis zum Auftauchen der beiden Frauen hat er regelmäßig an Morgantus’ Forschungen teilhaben dürfen. Er hat für ihn Kräuter gemischt (worauf er sich zuletzt weit besser verstand als der Meister selbst) und ist ihm bei allem, was anfiel, zur Hand gegangen. Anfangs hat Lysander die Vertrautheit der beiden mit Neid beobachtet, doch im Laufe der Jahre ist sie ihm gleichgültig geworden.
Seit sie im Kloster leben, hat Morgantus keine Mädchen mehr verlangt. Lysander verbringt die meiste Zeit im Scriptorium und in der Bibliothek. Er hat die alten Schriften entdeckt, aus denen Morgantus einen Großteil seines Wissens bezogen hat. Allmählich ist ihm klargeworden, was Morgantus tut, was er will – und was es mit dem schwangeren Mädchen im Anbau auf sich hat.
Nestor muß es gleichfalls durchschaut haben. Das ist die einzige Erklärung für seine Tat. Lysander hat immer gewußt, daß sein Rivale von größerem Ehrgeiz erfüllt ist als er selbst. Doch daß er so weit gehen würde … nun, es ist geschehen.
Lysander erfährt von der Katastrophe am frühen Morgen. Ein junger Ordensanwärter weckt ihn in seiner Kammer. Er solle sofort zu den Gemächern des Meisters kommen. Etwas Schreckliches sei geschehen!
Eine Versammlung von Ordensbrüdern drängt sich auf dem
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