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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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an. Vom Bahnhof aus waren es nur wenige Schritte bis zum Hafen. Der Morgenhimmel war trüb, Möwen trieben kreischend durch den Dunst über den Lagunen. Eine Gruppe von Menschen wartete bereits auf das Boot zur Überfahrt. Es roch nach fauligem Meerwasser und nassem Holz, nach Fischen und dem Obst eines Händlers, der mit ihnen übersetzte.
    An Bord kauerten sie sich auf einer Holzbank aneinander. Während Gillians Gedanken immer wieder in die Ferne schweiften, verfolgten die Kinder das Geschehen um sie herum mit neugierigen Augen.
    Venedig schob sich als graues, steinernes Ungetüm aus dem Morgendunst. Höher und höher ragten die vorderen Türme, mit jedem Meter schienen sich weitere Spitzen hinzuzugesellen. Kuppeln von Kirchen schimmerten im Dämmerlicht, Häuser lösten sich aus dem klobigen Umriß, rückten auseinander, wurden größer, gewannen an Form. Boote kreuzten ihren Weg, schließlich auch schlanke, schwarze Gondeln. Rufe wurden über die Reling gewechselt. Nach all den Jahren hatte Gillian immer noch Mühe, sie zu verstehen. Das Italienische bereitete ihm keine Mühe mehr, doch der weiche, eigentümlich singende Dialekt der Venezianer war beinahe eine Sprache für sich.
    Weiter glitt das Boot durch eine Schlucht grauer Paläste, die wie untergehende Luxusdampfer von Tod und Verfall kündeten. Alte Säulen, bröckelnder Putz, blinde Fensterscheiben – und davor, als bizarrer Gegensatz, das erwachende Leben der Stadt. Manchmal legte das Boot am Ende hölzerner Stege an oder längsseits an Gehwegen hoch über dem Wasser. Setzte einzelne Fahrgäste ab, nahm andere auf: Mariner und Frauen mit Körben, die es zum Markt auf der Piazza San Marco zog. Doch auch die Menschen, ihr morgendlich-müder Singsang und das hektische Treiben an manchen Uferstrecken vermochte nicht, die Melancholie dieses Ortes zu verschleiern.
    Das Zwielicht entblößte hohes, altes Mauerwerk. Das Boot glitt unter bleichen Fenstern dahin, hinter einigen brannten Lichter. Ihr Schein tanzte über die dunklen Gewässer wie Irrlichter, die den Fremden tiefer und tiefer in das Labyrinth dieser wunderlichen Stadt locken wollten. Die Kinder rückten näher an Gillian heran, auch sie verspürten die bedrückende Atmosphäre. Schattenhaft passierten sie festgezurrte Gondeln. Einmal durchschnitt der Schrei des Fährmanns die Stille, und sogleich duckten sich alle unter dem Schatten einer niedrigen Brücke. An manchen Ufern standen Fackeln, von den Bewohnern der Paläste und Häuser entzündet, die den Gondolieren und Bootsleuten den Weg durch das Halblicht wiesen.
    Die meisten Passagiere hatten das Boot bereits an früheren Haltestellen verlassen, lange ehe Gillian den Bootsmann bat, unweit eines hohen, düsteren Bauwerks anzulegen. Der alte Palast stand am Ende eines schmalen Seitenkanals, in den der Bootsmann nur mit Widerwillen eingebogen war – zu weit lag dieser Ort abseits seiner üblichen Route.
    Palazzo Lascari erhob sich jenseits einer hohen Mauer, die durch ein offenes Tor passiert werden konnte. Hinter dem Portal führte ein erhöhter Weg zum eigentlichen Eingang des Gemäuers. Rechts und links davon waren die alten Vorgärten in den Tiefen der Lagune versunken, Wellen schlugen plätschernd gegen algenbedeckten Stein. Das Boot setzte Gillian und die Kinder am Portal ab und entfernte sich wieder. Während sie durch den Torbogen auf den schmalen Steinsteg traten, blickten ihnen die restlichen vier Passagiere stumm nach, bis das Boot hinter einer Ecke verschwand.
    »Es sieht unheimlicher aus, als es ist«, versicherte Gillian den beiden, aber das schien sie kaum zu beruhigen. Ihre Hände umklammerten eisig die seinen, als habe sich selbst das Blut in einen fernen Winkel ihrer Leiber verkrochen.
    Zügig schritten sie den Weg entlang, mitten durch die ertrunkenen Gärten. Der Eingang kam näher, dunkelbraune Doppelflügel, geschmückt mit verschlungenen Reliefs. Das obere Viertel des Tores wurde von einem farbigen Bleiglasfenster eingenommen. In seiner Mitte prangte spiegelverkehrt ein anagrammatisches Quadrat, nur von der Innenseite auf Anhieb lesbar.
    Gillian streckte die Hand aus, um den drachenförmigen Türklopfer zu betätigen. Im selben Augenblick schwang der rechte Flügel nach innen. Eine Gestalt tauchte aus dem Dunkel auf, wie etwas, das vom Grunde des Ozeans emporsteigt, groß und bleich und voller Rätsel. Doch als das Dämmerlicht sich über hagere Züge legte, da war es nur ein hochgewachsener, schlanker Mann mit silbergrauem

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