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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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beantwortete, dann nickte sie Aura zu. »Zwei Männer kommen mit uns, die anderen bleiben hier. Sie werden uns beobachten und eingreifen, falls es nötig sein sollte. Ist Ihnen das recht?«
    »Sicher.«
    Einige Minuten später eilten sie durch das Gewirr der Felsspalten. Die hellgrauen, kantigen Risse waren nicht tiefer als zwei Meter, aber das reichte aus, um ungesehen hindurchzugelangen. Von oben hatte es denkbar einfach ausgesehen, sich in diesem Labyrinth zurechtzufinden, doch nachdem sie es einmal betreten hatten, drohte Aura alsbald schon die Orientierung zu verlieren. Marie aber schien zu keinem Zeitpunkt unsicher oder gar besorgt.
    Aura und Christopher hatten im Dorf zwei Revolver und je eine Tasche voll Munition erworben, obwohl keiner wirklich wußte, wie damit umzugehen war. Das Gewicht der Waffen weckte düstere Erinnerungen an den Kampf unter der Hofburg.
    Die beiden Swanen, die Marie als Begleiter ausgewählt hatte, waren ebenso verschlossen wie die übrigen Männer, die jenseits der Bergkuppe auf der Lauer lagen. Sie waren ungemein groß und kräftig, und vom ersten Ansehen an hatte Aura keinen Zweifel, daß sie sehr genau wußten, was sie taten. Beide trugen Narben im Gesicht, voller Stolz, wie es schien, und beide wirkten derart gelassen, daß ein wenig ihrer Ruhe auch auf Aura und Christopher abfärbte. Vielleicht war dies der Hauptgrund, weshalb Marie gerade diese beiden mitgenommen hatte.
    Sie benötigten etwa eine halbe Stunde, bis sie das Ende der Felsspalten erreichten. Vor ihnen öffnete sich das freie Gelände bis zum Fuß der Klostermauern. Hier wuchsen die dürren Sträucher, von denen Marie gesprochen hatte, und aus der Nähe war noch offenkundiger, daß sie nicht den geringsten Schutz vor Blicken aus der Festung boten.
    Das riesenhafte Tor des Klosters hatte die Form eines Spitzbogens. Von weitem hatte Aura angenommen, es sei durch schwarze Torflügel versperrt, doch nun erkannte sie, daß die Schwärze nichts anderes war als eine gähnende Leere. Das Tor stand offen. Wieder regte sich in Aura die Vorahnung einer Falle.
    »Warum ist das Tor nicht verschlossen?« flüsterte sie Marie zu, die neben ihr hinter einem Felsblock kauerte.
    »Viel lieber wüßte ich, weshalb es offen ist und keine Wachen zu sehen sind«, gab die Swanin zurück. Daraufhin wechselte sie ein paar Worte mit den beiden Männern, doch auch die zuckten nur mit den Schultern.
    Marie wandte sich wieder an Aura. »Und Sie sind sicher, daß Ihre Freunde nichts von Ihrer Reise hierher wissen?«
    »Sicher?« Aura lachte gezwungen. »Ich bin mir über gar nichts mehr sicher. Lysander und Morgantus sind mächtige Männer. Mag sein, daß sie ihre Augen überall haben. Ich weiß nicht, was sie aushecken.«
    Christopher starrte Marie eindringlich an. »Du glaubst, sie stellen uns eine Falle?«
    »Sieht ganz so aus.«
    »Was schlagen Sie vor?« fragte Aura.
    »Folgen Sie der Einladung, oder kehren Sie um. Das ist allein Ihre Entscheidung.«
    »Heißt das, Sie kommen nicht mit?«
    Statt einer Antwort beriet Marie sich abermals mit den beiden Swanen. Die Blicke der Männer waren finster, huschten abwechselnd von Aura über Christopher zum Kloster.
    Aura verlor die Geduld. »Hätten Sie die Güte, uns zu verraten, worüber Sie reden?«
    »Die beiden glauben ebenfalls, daß wir erwartet werden.«
    »Und?«
    »Sie meinen, daß dies der richtige Augenblick sei, Sie auszuliefern.«
    Es dauerte zwei oder drei Sekunden, ehe die Bedeutung dieser Worte ihre volle Wirkung entfaltete. Aura wollte ihren Revolver hochreißen, aber die beiden Swanen kamen ihr zuvor. Ein Gewehrlauf wies blitzartig auf ihr Gesicht, ein zweiter deutete in Christophers Richtung.
    »Marie!« rief er aus. Ihm war anzusehen, daß er nicht glauben konnte, was er doch mit eigenen Augen sah. »Du kannst nicht –«
    Aura schnitt ihm den Satz ab. »Natürlich kann sie«, sagte sie mit einem humorlosen Lächeln, »das siehst du doch.«
    Marie sah keineswegs aus wie eine Siegerin. Ganz im Gegenteil: Ihr schien mehr als unwohl in ihrer Rolle zu sein. »Ich weiß, was Sie jetzt denken.«
    »O, dessen bin ich vollkommen sicher«, gab Aura scharf zurück.
    »Es gibt ja auch nicht allzu viele Alternativen, nicht wahr?«
    Die beiden Swanen winkten mit ihren Gewehren. Aura und Christopher ließen ihre Waffen fallen.
    »Wann haben Sie den Plan dazu gefaßt?« fragte sie kalt. »Schon in Suchumi, oder erst später?«
    Zum ersten Mal gelang es Marie nicht, Auras Blicken standzuhalten.

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