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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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befand. Sie riß den Revolver hoch, zielte in die Schwärze.
    Sylvette starrte sie aus großen Augen an. »Was tust du?« fragte sie entsetzt und deutete mit der Kerze auf die Waffe.
    Der Mann kam immer noch näher, blieb erst zwei Schritte vor der Öffnung stehen. Der Tageslichtschimmer traf ihn von unten, schuf harte Schatten auf seinen Zügen. Von links und rechts umspielte ihn der gelbe Kerzenschein.
    Und alles war ganz anders, als Aura es sich ausgemalt hatte.
    Lysander war krank, das sah sie trotz der sonderbaren Lichtverhältnisse. Kein strahlender Jüngling, dem die Alchimie über Jahrhunderte Kraft und Anmut erhalten hatte. Sein Körper war schwach und leicht vornübergebeugt von den Gebrechen hohen Alters. Müde stützte er sich auf einen Stock. Sein Gesicht aber, wenn auch eingefallen und grau, wirkte nicht älter als das eines Vierzigjährigen. Die Wangen waren wie ausgehöhlt, doch das mochte an den Schatten liegen. Seine Haut glänzte, schimmerte fast transparent. Dadurch entstand der Anschein, dies sei nicht Lysander selbst, sondern vielmehr sein Abbild aus Wachs. Sein Haar war braun mit einem Stich ins Graue. Offenbar war es seit Jahren nicht geschnitten worden; es hing ihm bis auf die Schultern herab, war aber säuberlich gebürstet. Seine Augen waren zu groß, um anziehend zu sein, fast als habe sich die Haut rundherum um einige Millimeter zurückgezogen. Er wirkte weder überlegen noch bösartig. Nicht einmal verschlagen. Aber das mochte täuschen.
    »Du hast mich gesucht, Aura Institoris«, sagte er leise, »und hier bin ich. Eine Enttäuschung, nicht wahr?«
    Sein Anblick mochte zwar nicht dem entsprechen, was sie erwartet hatte, doch ihr Haß, ihr Zorn, ihre Abscheu waren ungebrochen. Sie spürte den kühlen Abzug des Revolvers am Zeigefinger, ein Gefühl, das sie genoß. Sie war hergekommen, um ihn zu vernichten – dieser Antrieb war mindestens ebenso groß wie jener, Sylvette zu befreien. Und sie dachte gar nicht daran, ihn allein aufgrund seines Aussehens zu verschonen.
    Dann aber sah sie wieder die Angst in Sylvettes Augen und verstand die Welt nicht mehr. Es war Angst vor ihr, Aura, nicht vor Lysander.
    Hastig huschte Auras Blick wieder hinüber zu dem Alchimisten, der nur noch vier Schritte von ihr entfernt stand, jenseits des Abgrunds. »Was haben Sie meiner Schwester angetan?« fragte sie bitter. Jedes Wort fiel ihr schwerer als das vorangegangene. Alles in ihr war darauf ausgerichtet, ihn zu töten, nicht mit ihm zu sprechen.
    Das uralte Wesen erwiderte ihren Blick mit großer Ernsthaftigkeit.
    »Warum fragst du mich? Frag deine Schwester, wenn du eine Antwort darauf suchst.«
    Sylvette machte einen Schritt auf Aura zu. Bittend streckte sie die freie Hand nach ihr aus. Einen Moment lang fürchtete Aura, Sylvette wolle versuchen, ihr die Waffe zu entreißen, doch sie tat nichts dergleichen. Statt dessen erschienen wieder Tränen in ihren Augen.
    »Warum bist du gekommen, Aura? Nur, um meinem Vater weh zu tun?«
    Alles, was ihr darauf einfiel, war die Wahrheit. »Er hat den Tod verdient. So viele Menschen mußten sterben, damit er leben konnte, so viele –«
    »Das ist wahr«, wurde sie von Lysander unterbrochen. »Ich habe den Tod verdient, und wenn er kommt, werde ich ihm freudig die Hand reichen und ihn begrüßen wie einen alten Feind, mit dem man endlich Frieden schließt.«
    Sylvette blickte abwechselnd von einem zum anderen. Unverständnis flackerte in ihrem Blick. Heißes Wachs rann von der Kerze über ihre Finger, aber sie schien es nicht zu bemerken. »Warum redet ihr beide vom Sterben?« Sie klang jetzt wieder wie ein Kind. »Und warum zielt Aura mit einer Waffe auf dich, Vater?«
    »Sylvette, mein Schatz«, sagte er, »deine Schwester glaubt, daß sie einen guten Grund hat, mich zu töten.«
    Aura lachte auf, freudlos und voller Schmerz. »Ich habe mehr Gründe, als ich aufzählen kann. Sie tragen die Schuld daran, daß mein Bruder Daniel starb. Gillian, der Vater meines Sohnes, ist tot, weil Sie es so wollten – und ich wäre es auch, hätte Gillian sich nicht gegen Ihren Befehl gewandt. Tot wie mein Vater und der alte Puppenaugenmacher in Paris.« Sie zögerte kurz, dann fügte sie leiser hinzu: »Tot wie Christopher.« Aber die Trauer um ihn war noch zu frisch, um sie als Trumpf auszuspielen. Gefaßter fragte sie: »Sind das genügend Gründe für Sie, Lysander?«
    Sylvette kam ihm zuvor. »Christopher ist tot?«
    »Er liegt draußen vor dem Kloster. Er wäre jetzt bei

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