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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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und verbissen. Sie stritt nicht zum ersten Mal ab, daß das Internat ihr Einfall gewesen war. Aber sie hatte selten so überzeugend dabei ausgesehen wie in diesem Augenblick.
    Eine Sekunde lang brachte sie Aura ernstlich durcheinander. Doch dann vergingen Auras Zweifel, und die Wut auf ihre Mutter kehrte zurück. »Vater hätte so etwas nie von sich aus vorgeschlagen.« Es klang, als wolle sie vor allen Dingen sich selbst überzeugen. Dabei war es doch wahr, mußte wahr sein.
    Charlotte blieb beharrlich. »Es war nicht nur sein Vorschlag, Aura. Es war sein ausdrücklicher Wunsch! Er wollte es so, hatte alles schon veranlaßt, bevor ich überhaupt davon erfahren habe. Und selbst das nur per Zufall. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er dich wahrscheinlich bei Nacht und Nebel fortbringen lassen. So ist er, Aura, so war er schon immer. Auch wenn du es nicht einsehen willst.«
    Aura schloß einen Moment lang die Augen und öffnete sie dann wieder. Sie haßte sich für die Tränen, die in ihnen aufstiegen.
    »Warum hast du ihn dann geheiratet?«
    Der Blick ihrer Mutter wurde leer, glitt durch sie hindurch in die Ferne. »Das ist sehr lange her.«
    »Du hast gesagt, er war schon immer so.« Aura hatte gar nicht in der Wunde bohren wollen, aber jetzt konnte sie nicht anders. Herrgott, was war nur los mit ihr?
    »Dein Vater war immer schon ein wenig … schwierig. Anders als die anderen. Aber er war jung, sah gut aus. Vor allen Dingen aber war es seine« – sie zögerte erneut – »seine Ausstrahlung, glaube ich. Wir lernten uns in Berlin kennen, auf einem Ball, und er – ach, Aura, du kennst die Geschichte.«
    Sie kannte sie, in der Tat, aber sie konnte sich nicht erinnern, sie je aus dem Mund ihrer Mutter gehört zu haben. Ihr Vater hatte ihr einmal davon erzählt, vor Jahren, als sie ein Kind gewesen war, und er sich noch nicht in seinem Dachgarten vor der Welt versteckte.
    Er und Charlotte hatten sich während eines Maskenballs getroffen. Das war vor fast zwanzig Jahren gewesen. Charlotte war damals siebzehn oder achtzehn, ein verwöhntes Mädchen aus gutem Hause, das seine Eltern bereits kurz nach der Geburt bei einem Schiffsunglück vor der dänischen Küste verloren hatte. Sie hatte seither bei einer entfernten Cousine ihrer Mutter gewohnt, die – kaum weniger vermögend – keinen Hehl daraus gemacht hatte, daß sie es für klug hielt, Charlotte schleunigst unter die Haube zu bringen. Sie hatte das Mädchen mit ihrem Gerede von prächtigen Hochzeiten, liebevollen Ehemännern und glücklichen Großfamilien angesteckt, bis Charlotte sich weniger Gedanken über das Wen als über das Wann gemacht hatte. Schnell sollte es geschehen, soviel war sicher, und als ihr schließlich Nestor begegnete, hatte sie keinen Zweifel, daß er der Richtige war. Er war vermögend, steinreich sogar, und von zahlreichen Damen umschwärmt, die Charlotte eher als Herausforderung denn als Konkurrenz ansah. Nestor hatte Aura später gestanden, daß er sich tatsächlich Hals über Kopf in Charlotte verliebt hatte, in ihre Schönheit (und sie war schön gewesen, wie er betonte), ihre Offenheit und ein wenig auch in ihre Naivität. Schon wenige Wochen nach ihrer ersten Begegnung war die Hochzeit ausgerichtet worden, und Charlottes Vormund hatte keine Bedenken gehabt, sein Mündel ziehen zu lassen. Hinauf in das abgelegene Anwesen des Nestor Nepomuk Institoris.
    Was dann geschehen war, was seine Veränderung vom attraktiven Lebemann zum zurückgezogenen Einsiedler verursacht und seinen äußeren Verfall beschleunigt hatte, darüber wurde im Schloß nicht gesprochen. Aura bezweifelte gar, daß Charlotte eine Antwort auf diese Frage gewußt hätte. Sie selbst, Aura, war die einzige, die überhaupt Zugang zum Dachboden und eine grobe Ahnung von dem hatte, was ihr Vater dort oben trieb. Zu ihr war er immer freundlich, manchmal fast liebevoll gewesen – ein Privileg, das sie allein genoß. Weder Sylvette noch Daniel und schon gar nicht Charlotte hatten Nestors Reich unterm Dach je betreten dürfen.
    Charlotte wußte um die Bevorzugung, die Nestor Aura zuteil werden ließ, und so hatte sie ihre eigene Liebe mehr und mehr auf Sylvette konzentriert. Die Kleine bekam die schönsten Kleider von Schneidern aus Berlin und Hamburg, ihr wurde jeder Wunsch von den Lippen gelesen.
    Auch Aura liebte Sylvette, ohne Frage, doch war auch ein dunkles Gefühl von Eifersucht auf ihre Schwester in ihr. Sie hatte Charlottes Verhalten sich selbst gegenüber nie

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