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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Meter vor den Felsen der Schloßinsel entschied er, daß es besser war, die Anlage erst einmal aus der Ferne zu beobachten. Stöhnend machte er sich daran, die Insel zu umrunden.
    Die kleinen Eilande, die rund um die Hauptinsel aus dem Wasser ragten, waren zwischen fünfzig und etwa hundert Meter vom Schloß entfernt. Allein jenes, auf dem sich der dunkle Leuchtturm erhob, war ein Stück weiter vorgelagert. Hätte Gillian es nicht besser gewußt, er hätte die gesamte Formation für künstlich gehalten, sorgsam geplant und angelegt. Auf jeden Fall war es ein ungewöhnlicher Ort. Kein Wunder, daß Nestor Institoris sich ausgerechnet hierher zurückgezogen hatte. Eine eigenartige Atmosphäre lag über den Inseln und über dem Schloß, etwas, das kein anderer gespürt hätte. Aber Gillian war feinfühlig in diesen Dingen. Vielleicht lag es an dem, was Nestor in seinem Dachgarten trieb. Auch darüber stand einiges in Lysanders Instruktionen.
    Als er das Schloß halb umrudert hatte, entdeckte er an der Nordostseite des Gemäuers eine Kapelle. Sie schmiegte sich eng an das Hauptgebäude, war wohl auch nur von dort aus zu betreten. Hinter den hohen Spitzbogenfenstern brannte kein Licht.
    Dann fiel sein Blick auf das Dach des Schlosses. Er mußte das Boot ein wenig von der Insel entfernen, um sich in einen besseren Winkel zu bringen. Tatsächlich war das Dach des Mittelflügels zum größten Teil durch eine Vielzahl von Glasscheiben ersetzt worden. Ein Gitter aus Metallstreben hielt sie an ihrem Platz. Gillian konnte vage die Formen baumhoher Pflanzen hinter dem Glas erkennen. Fahles Licht fiel von innen heraus ins Abenddunkel.
    Und noch etwas entdeckte er: eine Gestalt, die sich an der Nordmauer des Mitteltrakts emporschob, eng an die Wand gedrückt, Hände und Füße auf kleinen Eisensprossen, die aus dem Verputz ragten. Eine Feuerleiter. Ein Einbrecher.
    Höher und höher kletterte die Gestalt, ohne Gillian in seinem Ruderboot wahrzunehmen. Lautlos hangelte sie sich der Glasschräge des Dachgartens entgegen.
    Sollte Lysander einem anderen denselben Auftrag erteilt haben, nur um ganz sicherzugehen? Nein, entschied Gillian, das hätte er nicht getan. Und wenn doch, hätte er ihm davon erzählt.
    Wer immer aber der Eindringling war, Gillian war ihm überaus dankbar. Im verlöschenden Tageslicht hätte er selbst die Sprossen übersehen. Jetzt aber wiesen sie auch ihm einen unauffälligen Weg in Nestors Nest.
    Eine Weile lang beobachtete er noch den Aufstieg der Gestalt, dann steuerte er das Boot mit leisen Ruderschlägen davon. Er würde morgen zurückkehren, in aller Ruhe, und seinen Auftrag beenden.
    Vorausgesetzt, dachte er in leiser Hoffnung, der andere war ihm bis dahin nicht zuvorgekommen.
    Die Gestalt an der Nordwand faßte die oberste Sprosse und zog sich langsam auf den Dachsims. Ein hüfthoher Mauervorsprung verlief entlang der gläsernen Schräge, eine Art Balustrade auf voller Länge des Daches. Dahinter gab es einen schmalen Steg. Eine Glastür führte von dort aus ins Innere des Dachgartens.
    Die Kälte, die an Christophers bloßen Fingern riß, war kaum noch zu ertragen, und mehrfach hatte er befürchtet, seinen Aufstieg abbrechen zu müssen. Jetzt aber war er oben, schwindelig und durchgefroren, und vor ihm lagen die Geheimnisse seines Stiefvaters.
    Der Anblick war beeindruckend. Im gläsernen Giebel des Mitteltrakts wucherte ein Urwald. Nicht ein paar Pflänzchen oder magere Bäume. Nein, ein regelrechter Dschungel – so wenigstens schien es Christopher, der echte Urwälder nur aus Illustrationen kannte.
    Die Vegetation des Gartens war unbeleuchtet, doch von rechts drang ein fahler Schimmer durch die Sträucher. Die meisten Pflanzen erkannte Christopher lediglich als Silhouetten, da sich nur noch der letzte Rest Tageslicht in den Scheiben brach. Einige der Bäume und Büsche konnte er jedoch auf Anhieb identifizieren, südländische Gewächse, die in dieser Gegend unbekannt waren. Zwei oder drei Palmen waren darunter, mit hohen, dürren Stämmen. Ihre riesigen Blätter hingen wie erstarrte Vogelschwingen über dem Garten.
    Von Nestor selbst war nichts zu sehen. Christopher vermutete, daß der Alte sich dort aufhielt, wo das Licht brannte, irgendwo jenseits der Bäume.
    Die Stufen, eine Art Fluchtleiter, hatte Christopher am Morgen entdeckt, als er noch vor dem Unterricht allein um das Schloß gestreift war. An manchen Stellen gingen die Mauern in die Felswände über, und es war nicht einfach gewesen, sich

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