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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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als würde sie vor ihm zurückweichen, dann aber blieb sie stehen und erwiderte stur seinen Blick. »Ich weiß, was zwischen dir und Daniel war«, fauchte er böse. Nichts war geblieben vom Anschein des wirren, aber freundlichen alten Mannes. Sogar in Christophers Augen wirkte er jetzt bedrohlich. »Du weißt, daß ich es nie gebilligt habe. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn er diesen Unfall nicht gehabt hätte.«
    Sie funkelte mit bewundernswerter Kühnheit zurück. »Du klingst, als wärest du froh darüber.«
    »Ein kleiner Schaden hat einen großen vereitelt«, entgegnete er eisig.
    Die Worte trafen sie mit solcher Härte, daß sie mit einemmal Mühe hatte, ihrem Vater länger in die Augen zu blicken. »Nimmt jetzt er meine Stelle ein?« Sie deutete haßerfüllt auf Christopher, dessen Blick verwirrt von einem zum anderen huschte.
    »Christopher ist mein Schüler«, sagte Nestor, nun wieder ein wenig ruhiger, »du bist meine Tochter. Das ist ein Unterschied.« Er streckte Aura seine Hand entgegen, doch das Mädchen würdigte die Geste mit keinem Blick.
    »Ach?« Voller Verachtung hob sie ihren Schlüssel hoch und schleuderte ihn vor Nestors Füße. »Bald bist du mich ja los. Das wolltest du doch, nicht wahr?« Sie schüttelte den Kopf, als könne sie es noch immer nicht glauben. »Mutter hat tatsächlich die Wahrheit gesagt. Du warst es.«
    »Es ist allein zu deinem Besten.«
    Hämisch lachte sie auf und überspielte damit doch nur ihre Verzweiflung. »O ja, zu meinem Besten. Sicher.«
    Sie fuhr auf dem Absatz herum und eilte mit großen Schritten zum Ausgang.
    »Aura!« rief Nestor ihr nach, doch sie schaute sich nicht mehr zu ihm um. Wenig später knallte die Tür.
    Einen Augenblick lang stand der Alte stocksteif da. Sein glühender Blick schien seiner Tochter sogar noch durch die Wände zu folgen. Dann aber straffte er sich, hob den Schlüssel vom Boden und drehte ihn nachdenklich zwischen den Fingern.
    »Ich muß mich entschuldigen«, sagte er leise, ohne Christopher dabei anzuschauen. »Auras Wut ist verständlich. Sie hat heute ein Privileg verloren.«

KAPITEL 3
    Der Abend war kalt und stürmisch, selbst die Seeadler hatten sich in die Glaskuppel des Leuchtturms zurückgezogen. Nur ein paar kreischende Möwen trieben auf den Sturmböen dahin, manche verspielt, andere panisch. Von Norden rückten Gewitterwolken heran wie die Schatten des Weltuntergangs.
    Gillian schob sich flink an der Nordmauer des Schlosses empor. Die Eisensprossen in der Wand waren vom Wasser salzverkrustet und rutschig, dennoch bereiteten sie ihm keine Schwierigkeiten. Er war in den Kanalschächten Wiens so viele Leitern hinauf- und hinuntergestiegen, daß er Übung im Klettern hatte. Außerdem war er leicht, sein Körper geschmeidig, und was ihm seine weibliche Seite an Kraft vorenthielt, machte sie durch Geschicklichkeit wett.
    Er erreichte das Glasdach, als im Norden der erste Donner krachte. Regenschwaden trieben über die See heran, graue Vorhänge, die in Schüben über das Wasser peitschten. Gillian schaute sich prüfend um, schwang sich über die Brüstung und öffnete die Glastür ins Innere des Dachbodens.
    Wenig später pirschte er durch die dichte Vegetation des Dachgartens, horchte, beobachtete. Er hörte ein leichtes Schaben von links, schob sich durchs Dickicht und entdeckte eine kleine Lichtung inmitten des tropischen Gartens, vier mal vier Meter breit. Eine Art Kräuterbeet nahm ihre ganze Fläche ein, durchzogen von schnurgeraden Furchen, in denen sich fremdartige Pflanzen drängten. Ein Streifen am Ostrand des Beetes aber war unbewachsen. Dort hockte eine Gestalt und grub mit einer Handschaufel faustgroße Löcher in die Erde. Die Gestalt hatte Gillian den Rücken zugewandt.
    Der Hermaphrodit blinzelte im Halblicht des Dachgartens und versuchte, weitere Einzelheiten zu erkennen. Wer immer der Mann war, der dort zwischen den Kräutern kauerte, es war nicht Nestor. Er hatte kein graues Haar, schien auch jünger zu sein.
    Ohne Zeit mit weiteren Beobachtungen zu verschwenden, zog Gillian sich ins Dickicht zurück. Lautlos, unbemerkt. Der junge Mann auf der Lichtung ging weiter seiner Arbeit nach, grub arglos ein Loch nach dem anderen.
    Wenig später kam Gillian an die Vorderseite des Dachgartens und schaute zwischen Blättern, größer als seine Schuhsohlen, zum Laboratorium hinüber. Der alte Institoris war nirgends zu sehen. Das Feuer unter dem Athanor brannte nur schwach, winzige Flammen züngelten grünlich über

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