Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin
einmal.« Er deutete auf eine hohe Wassertonne am anderen Ende des Dachgartens. »Danach können wir reden.«
Nachdem Christopher sich Ruß und Schweiß vom Leib gespült hatte, führte Nestor ihn zurück ins Laboratorium und erklärte ihm die Funktionen des Kessels. Das Feuer dürfe niemals – niemals! – verlöschen, sagte er streng, denn der Ofen, der Athanor, sei das Herz der alchimistischen Kunst. Er erläuterte einige Rädchen und Hebel, mit deren Hilfe sich das Feuer auf kleiner Flamme halten ließ, ohne daß Kohle nachgeschaufelt werden mußte. Bald schon kannte Christopher jedes technische Detail der Apparatur, ohne aber zu erfahren, wozu sie eigentlich benutzt wurde. Doch er überspielte seine Ungeduld, stellte nur einfache Fragen und horchte aufmerksam den Worten seines Stiefvaters.
Schließlich, nachdem Nestor ihm auch einige der Versuchsanordnungen auf den Tischen und Regalen erläutert hatte, setzte sich der Alte in einen reichverzierten Sessel an der Vorderseite des Dachgartens. Christopher nahm ihm gegenüber auf einem alten Sofa Platz. Über ihnen spannte sich die gläserne Dachschräge, jenseits davon der graue Vormittagshimmel. Nestor saß mit dem Rücken zum Zypressenhain vor dem Schloß. Die Bäume ragten hinter ihm wie riesige Lanzenspitzen empor.
»Ich werde mir die Mühe sparen, herauszufinden, was du tatsächlich über die Alchimie weißt, mein Junge.« Nestor griff nach einer Pfeife und stopfte sie, während er sprach. »Statt dessen will ich dir in wenigen Worten erklären, was für dich wichtig sein könnte.«
Für mich? dachte Christopher aufgeregt. Warum für mich? Aber er wagte nicht, die Frage auszusprechen, aus Furcht, sie könne den Redeschwall seines Stiefvaters zum Versiegen bringen.
»Das Hauptziel eines jeden Alchimisten ist, heute wie vor siebenhundert Jahren, das Große Werk. Das also, mein Junge, hast du ganz richtig erkannt.« Nestor nannte ihn mit solcher Penetranz »mein Junge«, daß Christopher sich bereits wunderte, warum der Alte sich so heftig gegen seine Vaterschaft ausgesprochen hatte. »Das Große Werk ist nichts anderes als die Herstellung des Steins der Weisen. Man sagt ihm gerne nach, er sei nur dazu gut, Blei oder Quecksilber in Gold zu verwandeln, doch das wird seinem wahren Zweck nicht gerecht. Tatsächlich geht es um den Weg zur Vollkommenheit, den Weg des Alchimisten zum perfekten Menschen. Perfekt in jeder Beziehung. Dabei ist der Stein der Weisen nicht wirklich ein Stein, sondern ein rotes Pulver, das sogenannte Pulver der Projektion. Die Hermetiker haben es einen Stein genannt, weil es dem Feuer wie ein Stein widersteht.« Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und hielt drei Finger hoch, die er nun nacheinander abzählte. »Man schreibt dem Stein drei Eigenschaften zu. Die erste habe ich erwähnt, die Transmutation von unedlem Metall zu Gold. Die zweite Eigenschaft ist die eines ewigen Lichtes, das nie verlöscht. Die dritte und wichtigste Eigenschaft aber ist die einer Universalmedizin. In Wein aufgelöst heilt der Stein jede Krankheit, hält das Altern auf, ja, er schenkt sogar ewige Jugend.«
Christopher nickte verdattert. Was sonst hätte er auch tun sollen?
»Hinter dieser Tür dort« – Nestor deutete auf den winzigen Durchgang im hinteren Teil des Laboratoriums – »befindet sich meine Bibliothek. In ihr verwahre ich Tausende von alchimistischen Schriften, und nahezu jede nennt einen anderen Weg, den Stein zu gewinnen. Ich habe es auf vielerlei Arten versucht, das glaube mir. Dennoch, vergeblich.«
»Haben Sie Friedrich deshalb um das Blut eines Drachen gebeten?« fragte Christopher.
»Friedrich, pah!« Eine Zornesfalte durchfurchte Nestors Stirn.
»Dieses armselige Subjekt. Aber ja, mein Junge, du hast recht. Das Blut eines Drachen, der von einem Elefanten zermalmt wurde – man sagt, das sei eine der Zutaten, die die Herstellung des Steins ermöglichen.« Er schüttelte den Kopf, als wolle er ihn freimachen für andere, bessere Gedanken. »Aber es gibt tausend weitere Zutaten und tausend mögliche Wege, sie zu mischen.«
»Wie kann denn ein Pulver ewiges Leben schenken?« fragte Christopher, bemüht, nicht allzu ungläubig zu klingen.
»Du glaubst, der Gedanke widerspräche den Gesetzen unserer Natur, nicht wahr? Dabei ist es nur eine Frage der Betrachtungsweise. Der Alchimist geht von einem magischen Weltbild aus. Auch darin hat die Welt ihre Gesetze, aber es sind andere als jene, die du kennst.«
»Magie?« fragte Christopher
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