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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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die Kohle. Eine schmale Holztür an der Rückseite der Alchimistenküche stand einen Spaltbreit offen.
    Vorsichtig, immer darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen, näherte Gillian sich dem Laboratorium. Er umrundete den Kessel und blieb vor der Tür stehen. Horchte abermals.
    Erst war da nichts als Stille. Doch dann, in regelmäßigen Abständen, erklang das Rascheln von Papier. Jemand schlug die Seiten eines Buches um.
    Gillian atmete tief durch. Die Schwüle des Dachgartens drohte ihn träge zu machen. Noch immer widerstrebte es ihm, seinen Auftrag durchzuführen. Aber, dachte er, es ist Lysanders Auftrag. Besser für dich, wenn du es endlich hinter dich bringst.
    Leise dehnte er Finger und Handgelenke, schaute sich noch einmal sorgsam um. Dann zog er die Tür auf. Christopher hockte mit den Knien im Dreck und grub Löcher in die Erde. Ungeduldig überschaute er sein Werk: ein militärisch anmutender Aufmarsch von Pflanzlöchern, Reihe um Reihe um Reihe. Schweiß strömte ihm über die Stirn; vielleicht war es auch nur die schwüle Feuchtigkeit des Gartens, die an ihm herabperlte. So wie es aussah, würde er bald fertig sein. Noch immer hatte Nestor ihm nicht verraten, was er in diesem Teil des Kräuterbeetes zu säen gedachte.
    Im Waisenhaus hatte es einen kleinen Nutzgarten gegeben, bei dessen Bewirtschaftung die Kinder reihum mithelfen mußten. Von Petersilie bis zu Möhren hatte Christopher alles gesteckt und ausgesät, gepflückt und geerntet, was man in der Küche dünsten, kochen und braten konnte. Doch Kräuter wie die in Nestors Garten hatte er nie zuvor gesehen.
    Nachdem er die letzte Reihe beendet hatte, erhob er sich stöhnend und streckte seine Beine. Vom langen Knien am Boden taten seine Gelenke weh, und seine ersten Schritte durchs Dickicht waren staksig und unbeholfen.
    Noch einmal wanderten seine Gedanken zurück zum Vormittag. Einige Stunden nach Auras impulsivem Auftritt hatte er endlich den Mut gefaßt, Nestor nach Daniels Unfall zu fragen. Der alte Mann hatte sich erst zurückhaltend gegeben, um dann doch noch sein Schweigen zu brechen.
    Demnach hatte ein Pferdezüchter aus dem Dorf Daniel und Aura Reitstunden erteilt. Bei einem Ausritt in den Dünen, vor einem halben Jahr hatte das Pferd gescheut, Daniel war aus dem Sattel gestürzt, und von Pferdehufen traktiert worden. Seine inneren Verletzungen hatten Charlotte bewogen, für drei Monate einen Arzt einzustellen, der sich Tag und Nacht um Daniels Genesung kümmerte. Ihm war es gelungen, die schweren Schäden zu heilen – mit einer Ausnahme: Daniel würde niemals Vater werden können. Aura war während dieser Zeit kaum von Daniels Seite gewichen, er aber hatte sich mehr und mehr von ihr distanziert. Er hatte sich in die Überzeugung verrannt, ihrer nicht wert zu sein, ja, er hatte es gar abgelehnt, mit ihr über sein Leiden zu sprechen. Vor zwei Monaten dann hatten Diener ihn im Bad seines Zimmers entdeckt – mit aufgeschnittenen Pulsadern. Und wieder war der Arzt herbeizitiert worden, wieder hatte er Daniels Lebens gerettet.
    »Wer weiß, für wie lange«, hatte Nestor mit kühler Gleichgültigkeit seinen Bericht beendet.
    Christopher bemühte sich, aus diesem Wissen heraus Daniels Verhalten ihm selbst gegenüber zu begreifen. Sah er in ihm einen Konkurrenten, der seinen Platz in Auras Gunst einnehmen wollte?
    Erstens aber gab es dafür beileibe keinen Anlaß, denn Aura haßte ihn, wie sie deutlich gezeigt hatte; zum zweiten hatte Daniel sich selbst von ihr zurückgezogen. Dennoch mochten seine Reizbarkeit und Aggressivität auf sein Schicksal zurückzuführen sein. Aber auch diese Feststellung ließ Christopher keine Wärme für seinen Stiefbruder empfinden, allerhöchstens Mitleid. Ein wenig.
    Er näherte sich dem Laboratorium und bemerkte, daß die Tür zu Nestors Bibliothek offenstand. Im selben Moment spürte er auch schon, wie sein Hals sich verengte. Husten stieg in ihm auf, seine Lungen zogen sich zusammen. Der Odem der alten Bücher wehte ihm selbst durch die Schwüle des Gartens entgegen. Keuchend sprang er vor, um die Tür zu schließen, packte die Klinke – und blickte dabei ins Innere der Bibliothek. Was er sah, ließ ihn sogar seine Atemnot vergessen.
    Nestor lag am Boden. Eine Gestalt beugte sich über ihn. Sie hatte beide Hände um die Kehle des Alten gekrallt, während Nestors Finger hilflos über den Boden tasteten. Seine Beine strampelten, zuckten, erschlafften.
    Der Mörder trug eine schwarze Hose und ein

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