Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
altmodisches schwarzes Rüschenhemd. Christopher konnte sein Gesicht nicht sehen, aber er hörte doch, wie der Fremde dem sterbenden Nestor etwas zuflüsterte:
    »Eine Botschaft von Lysander.« Seine Stimme klang eigentümlich weich, fast weiblich. »Der Seemann hat ein neues Rad.«
    Nestors Augen wurden weit, noch einmal fächerten seine Arme auf und ab.
    Christopher stand wie erstarrt an der Tür. Der unsichtbare Dunst des Buchbinderleims lag schwer auf seiner Brust, er keuchte laut, dann überkam ihn ein entsetzlicher Hustenanfall.
    Er konnte nicht anders, er mußte die Tür schließen! Mußte … sie … schließen!
    Der Attentäter fuhr im selben Augenblick herum, da die Tür ins Schloß fiel. Sein Gesicht! Was war nur mit seinem Gesicht? So ebenmäßig. So glatt. So vollkommen perfekt.
    Christopher taumelte von der Tür fort, stolperte erst, bekam wieder Luft, rannte los. Bis zur anderen Seite des Dachbodens stürmte er, suchte nach einer Waffe, doch die einzige, die ihm einfiel, war die Kohlenschaufel. Die aber lag gleich neben der Tür im Laboratorium.
    Während er noch wie rasend überlegte, ob er sich dorthin zurückwagen sollte, wurde die Tür schon mit einem lauten Krachen aufgestoßen. Nestors Mörder erschien in dem niedrigen Rahmen, verharrte einen Augenblick, starrte Christopher über die Distanz hinweg an.
    Ihre Blicke kreuzten sich. Sekundenlang. Dann fuhr der Attentäter ruckartig herum, brach durch das tropische Dickicht des Gartens. Ein Blitz zuckte über das Schloß hinweg, wenig später erbebte das Glasdach unter der Wucht eines Donnerschlags. Scheiben klirrten, aber keine zerbrach.
    Christopher stand da und starrte wie betäubt auf die Schneise in der Pflanzenwand. Sein Herzschlag raste, und die Nässe, die seine Kleidung tränkte, war längst nicht mehr die Feuchtigkeit des Gartens. Es war Angstschweiß.
    Ganz allmählich näherte er sich der Stelle, an der der Mörder im Dickicht verschwunden war. Wie in Trance folgte Christopher ihm durch das dunkle Unterholz, erreichte die andere Seite und entdeckte die offene Glastür zur Balustrade. Der Fremde mußte längst die Wand hinabgestiegen sein. Und, tatsächlich, dort unten auf dem Wasser schaukelte eine Jolle, die von einer Gestalt Richtung Festland gerudert wurde. Bestenfalls würde ihn ein Blitz erschlagen.
    Ein heller Schemen schoß an Christopher vorbei. Der Pelikan huschte hinaus auf die Brüstung, spreizte seine Flügel und stieß sich ab. Trudelte verloren davon, hinaus in das brodelnde Unwetter. Augenblicke später war er im trüben Gewitterwirbel verschwunden.
    Die Nebel in Christophers Kopf lichteten sich ein wenig. Und da erst begriff er wirklich, was geschehen war.
    In Panik stürmte er zurück durch den Garten, zog sich den Kragen seines Pullovers vor die Nase und tauchte in das erstickende Zwielicht der Bibliothek. Viele Regalwände. Bücher, aufgereiht und gestapelt, Tausende und Abertausende. Zwei Giebel mit schillernden Bleiglasfenstern, wie überall im Schloß, nur daß sie Buchstaben, keine Bilder darstellten.
    Und Nestor, der leblos am Boden lag, Arme und Beine abgespreizt, erschlafft.
    Ohne sich umzusehen, halb erstickt trotz des Stoffes vor Mund und Nase, packte Christopher Nestors Arme, schleifte ihn mit aller Kraft zur Tür. Hinaus ins Laboratorium. Mit einem Scheppern warf er die Tür zu, brach in die Knie, riß sich den Pullover vom Gesicht. Versuchte zu atmen und erbrach sich dabei fast. Mit geschlossenen Augen wartete er ab, zehn Sekunden, zwanzig Sekunden. Dann ging es allmählich besser, er bekam wieder Luft. Sein Atem rasselte, wurde aber ruhiger.
    Er beugte sich über Nestor und blickte in aufgerissene Augen. Die Brust des Alten hob und senkte sich nicht. Kein Herzschlag, kein Luftholen. Sein Mund stand fingerbreit offen, die Zunge lag aufgebläht darin wie ein weinroter Ballon.
    Christopher sank neben dem Alten nieder, rollte sich auf den Rücken. Fieberhaft drehten sich seine Gedanken im Kreis. Immer wieder dieselben Fragen: Wer hatte Nestor ermordet? Und, viel wichtiger: Was sollte er, Christopher, jetzt tun?
    Wenn er unten im Haus Alarm schlug, war seine Lehrzeit im Dachgarten beendet. Charlotte würde dafür sorgen, daß innerhalb weniger Tage nichts mehr an ihren Mann erinnerte. Der Mörder aber war ohnehin längst auf und davon. Warum also alles aufgeben, all die Hoffnungen, die Nestor in ihm geschürt hatte? Ewiges Leben. Blei zu Gold. All das wäre dahin, auf immer verloren.
    Irgendwann ließ das

Weitere Kostenlose Bücher