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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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entsprach sie ziemlich genau Auras Erwartungen.
    Die Eingangshalle des Internats war mit teurem Marmor ausgelegt, ein rot-braunes Schachbrettmuster, das vor Auras Augen zu flimmern schien. Mehrere Wandleuchter waren mit Kristallen besetzt, und es gab drei Sitzecken aus fein geschnitzten Möbeln, die allerdings durch armdicke Taue vom Rest des Raumes abgetrennt waren. Aura kam sich vor wie in einem Museum.
    An der Rückseite der Halle führten mehrere Stufen, so breit wie die ganze Wand, in eine tiefergelegene Etage. Darüber war hinter hohen Fenstern ein achteckiger Innenhof zu sehen. Was immer am Fuß der Treppe lag, es befand sich im Kellergeschoß unterhalb des Hofes.
    Von unten erklang jetzt das scharfe Klappern von Schritten. Ein Gesicht erschien über der obersten Stufe, dann ein hochgewachsener, dürrer Körper.
    »Die Direktorin«, raunte Fräulein Braun Aura zu. »Madame de Dion.«
    Aura wollte ihr entgegengehen, doch die Lehrerin hielt sie zurück.
    »Warten Sie, bis Sie von Ihr angesprochen werden.«
    Die Direktorin trug ein weißes Kostüm ohne jede Zierde. Auf Schmuck schien sie, wie auch Fräulein Braun, keinen Wert zu legen; Aura entdeckte nicht einmal einen Ring an ihren langen Fingern. Madame de Dions Gesicht war schmal und knochig, und als sie lächelte, entblößte sie einen silbernen Schneidezahn inmitten des akkuraten Weiß ihrer Zahnreihen; das Silber schien aus sich heraus zu glühen. Sekundenlang konnte Aura auf nichts anderes als auf diesen Zahn starren. Dann aber fiel ihr Blick auf die Augen der Direktorin, genauer: auf ihre Brauen. Sie standen schräg, wie aufgemalt, und vermittelten Strenge, bevor die Frau auch nur ein Wort gesprochen hatte.
    »Aura Institoris«, sagte die Direktorin mit tiefer, männlich klingender Stimme. »Wir haben Sie schon erwartet.« Falls darin ein Vorwurf mitschwang, so erklärte sie ihn nicht weiter. »Ich bin Madame de Dion und seit vielen Jahren die Leiterin dieser Anstalt.«
    Himmel, sie sagte tatsächlich Anstalt, nicht Schule! Auras Unwohlsein gefror zu einem eisigen Knoten in der Kehle. Dennoch reichte sie der Direktorin artig die Hand. Der Händedruck der Frau war kraftvoll, fast schmerzhaft. Aura fragte sich, ob die Leiterin mit Absicht so fest zupackte, um ihre neue Schülerin einzuschüchtern. Ein gewisser Erfolg war ihr dabei nicht abzusprechen.
    Aura wollte etwas sagen, doch die Direktorin schaute bereits an ihr vorbei und nickte jemandem in Auras Rücken zu. »Bring ihr Gepäck in mein Arbeitszimmer. Ich werde es mir später genauer ansehen.«
    Aura traute ihren Ohren nicht, und weniger noch ihren Augen, als sie sah, wie ein älterer Mann, offenbar das Faktotum des Internats, ihre beiden Koffer herein und an ihr vorüber trug. Ihre Reisetasche baumelte an seinem rechten Arm.
    Bemüht, so gefaßt und freundlich wie möglich zu bleiben, wandte sie sich an die Direktorin. »Er bringt das Gepäck nicht auf mein Zimmer?«
    Fräulein Braun schaute sie zurechtweisend an. »Es ist üblich, daß Madame de Dion die Koffer zuerst auf unerwünschte Gegenstände untersucht.«
    »Unerwünschte … Gegenstände?« fragte Aura. Sie spürte, wie Zorn in ihr aufstieg, sehr schnell und siedend heiß.
    »Druckerzeugnisse. Gewisse Literatur, wie sie unter jungen Damen heutzutage Verbreitung findet. Nicht geduldet werden auch Photographien männlicher Bekannter.« Fräulein Braun machte eine weite Geste, die irgendwie kantig wirkte, während die Direktorin Aura nur schweigend anstarrte.
    Aura zog scharf die Luft ein. »Auf mein Gepäck trifft das nicht zu«, sagte sie leise.
    »Wir werden sehen«, erwiderte die Lehrerin.
    »Nein.« Aura lächelte starr. »Sie verstehen nicht: Es wird keine Untersuchung meines Gepäcks geben!«
    Mit diesen Worten trat sie an der Direktorin vorbei, packte den alten Bediensteten an der Schulter und hielt ihn zurück, bevor er die Koffer die Treppe hinabtragen konnte. »Entschuldigen Sie«, sagte sie höflich, aber bestimmt. »Bringen Sie die Sachen bitte gleich auf mein Zimmer.«
    Ein scharfes Atmen an ihrem Ohr ließ sie herumwirbeln. Erschrocken fuhr sie zusammen, als ihr klar wurde, daß die Direktorin neben sie getreten war, ohne dabei einen Laut zu verursachen.
    »Gehen Sie«, fauchte Madame de Dion den Hausdiener an. »In mein Arbeitszimmer damit.«
    Aura beachtete sie nicht weiter. Ungeachtet der einschüchternden Präsenz der Direktorin packte sie ihre Reisetasche am Arm des Mannes und riß daran. Der Alte blieb stehen, warf ihr

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