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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Sankt-Jakobus-Stift zu erfahren. Schließlich hatte er ihr einen unverschämten Preis genannt, zahlbar im voraus. Sie ließ sich darauf ein, weil sie keine andere Wahl hatte, aber auch, weil Geld für sie ohne Bedeutung war. Ihre Familie besaß genug davon, obgleich weder Nestor noch Charlotte eigene Einkünfte hatten. Der Reichtum der Institoris’ speiste sich allein aus dem umfangreichen Erbe ihrer Mutter und einer Rücklage, die Nestor in jungen Jahren erwirtschaftet hatte.
    Die Straße verlief in Serpentinen einen Berghang hinauf. Nach einer scharfen Wegkehre tauchte der Zweispänner ins Zwielicht eines Waldes. Die Stadt war längst auf der anderen Seite des Berges zurückgeblieben, und der Weg wurde allmählich schlechter. Irgendwann hörten die Pflastersteine gänzlich auf, und alle paar Meter wurde Aura im Inneren der Kutsche tüchtig durchgeschüttelt. Gelegentlich hörte sie von außen das Knallen der Peitsche und ein paar gemurmelte Flüche des Kutschers. Er schien um seine Räder zu bangen, und Aura fürchtete zeitweise, er könne es ablehnen, sie noch höher hinauf ins Gebirge zu bringen.
    Sie hatte erwartet, der Weg von Zürich zum Internat werde eine, höchstens zwei Stunden in Anspruch nehmen. Tatsächlich aber schien er sich nun über den ganzen Vormittag hinzuziehen. Die Sonne stieg höher und beschien rechts und links des Weges dichte Nadelwälder. Ein Sturzbach donnerte schäumend dem Tal entgegen, überspannt von einer kühnen Bogenbrücke. Gelegentlich wurde der Wald von Wiesen unterbrochen, auf denen Kühe so bewegungslos verharrten, als seien sie beim Weiden festgefroren. Einmal erhob sich am Wegrand ein Heiligenbild, so dicht von Moos überzogen, daß nicht mehr zu erkennen war, ob es sich um einen weiblichen oder einen männlichen Patron handelte. Davor kniete eine Bäuerin und betete mit geschlossenen Augen, blickte nicht auf, als die Kutsche an ihr vorüberrumpelte.
    Aura gestand sich ein, daß ihr der Anblick dieser Landschaft gefiel. Sie war nie zuvor in den Bergen gewesen, kannte nur das flache, eintönige Küstenland, und so war sie von der Größe und Wucht des Gebirges tief beeindruckt. Auf den Rändern hoher Felswände erhoben sich Kastanien und Walnußbäume, als wollten sie sich im nächsten Augenblick in die Tiefe stürzen. Hier und da lichteten sich Tannendickicht und Fichtenzeilen und gingen in Haine aus leuchtenden Birken über. Der Verlauf des Weges wurde immer verschlungener und steiniger, ehe der Kutscher gegen Mittag seine Pferde langsamer traben ließ und rief: »Meine Dame, wir sind am Ziel!«
    Der erste Anblick des Sankt-Jakobus-Stifts erschreckte, ja erschütterte sie. Was eine Schule, ein Hort der Bildung sein wollte, sah in Wahrheit aus wie eine Festung.
    Der Bau lag inmitten eines weiten Parks, der auf den ersten Blick wildromantisch, auf den zweiten nur noch ungepflegt wirkte. Der letzte Schnitt von Hecken und Sträuchern lag zu lange zurück, und auch der Rasen war höher als üblich. Immer wieder unterbrachen kleine Waldstücke und Reihen buschiger Tannen das Gelände. Der Boden war uneben und von schroffen Felsspalten durchzogen. Der Weg, der vom Torbogen der Außenmauer zum Internatsgebäude führte, war mit Holzstämmen ausgelegt. Die Kutschenräder verursachten darauf einen entsetzlichen Lärm.
    Das Internat selbst war achteckig, die Mauern hoch und aus grobem Naturstein. Die Wände wurden von niedrigen Dächern abgeschlossen, aus denen scharfe Giebel wie verdrehte Pechnasen stachen. Fenster gab es kaum, und die wenigen waren klein, kaum größer als Schießscharten; einige hatte man offenbar erst nachträglich ins Gestein gebrochen. Zudem entdeckte Aura ein halbes Dutzend neuere Anbauten, die eine lichtere, freundlichere Architektur aufwiesen. Das Haupttor hatte man mit einem Vorbau versehen, der von weißen Säulen flankiert wurde. Aura verstand wenig von Architektur, aber selbst sie erkannte, daß hier sämtliche Baustile wild durcheinandergewirbelt worden waren. Beim Näherkommen entdeckte sie über dem Tor im Gestein der alten Festungsmauer eine gemeißelte Inschrift: Non nobis, Domine, non nobis sed nomine tuo da gloriam. Nicht uns, Herr, nicht uns den Ruhm, sondern deinem Namen.
    Eine Frau mit hochgestecktem grauem Haar kam ihr entgegen, nicht zu schnell und auf Würde bedacht. Sie stellte sich als Fräulein Braun vor und war die Leiterin von Auras künftiger Klasse. Ihr Gesicht war grau und faltig, und ihre Herzlichkeit wirkte aufgesetzt. Damit

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