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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Der Steg schwankte unter dem Gewicht der beladenen Männer und noch mehr, als Gillian das Gleichgewicht verlor und fast ins Wasser stürzte; nur der beherzte Griff eines Bootsmannes hielt ihn zurück. Der Schiffer schrie ihn an, was er hier zu suchen habe, sah dann die Zwillinge, die auf den Steg zugerannt kamen, und war vor Erstaunen einen Moment lang achtlos. Gillian riß sich los und gab dem Mann einen Stoß, der diesen über die Reling ins Wasser warf. Sogleich entstand ein furchtbarer Aufruhr, als weitere Schiffer von allen Seiten herbeigestürmt kamen, einige der Lastenträger auf dem wippenden Steg ihr Fleisch verloren, und zu allem Überfluß die Zwillinge zwischen ihnen hindurchdrängten.
    Gillian entging flink dem Zugriff eines zweiten Bootsmannes, lief quer über das Deck und sah, wie zwei der Träger, die ihr Fleisch fallen gelassen hatten, den unglücklichen Bein an den Armen packten. Der Zwilling verlor seine Waffe und erhielt einen schrecklichen Schlag ins Gesicht, der ihn den Rest der zerbrochenen Schneidezähne kostete. Stein sah die Bedrängnis, in der sich sein Bruder befand, vergaß Gillian und setzte einem der beiden Träger, die Bein malträtierten, den Revolver auf die Brust. Ohne Zögern drückte er ab. Getroffen taumelte der Mann zurück und stürzte in den Fluß, während die übrigen Träger in Panik davonstoben. Stein packte Bein am Arm, half ihm auf die Füße.
    Gillian beobachtete nicht, was weiter geschah. Er schwang sich über die entgegengesetzte Reling und sprang ins Wasser. Die Kälte war entsetzlich, und einen Moment lang glaubte er, sein Herzschlag setze aus. Dann aber kam er wieder an die Oberfläche und schwamm frierend im Schutz des Bootes nach Westen. Dort umrundete er den Bug und kletterte wieder an Land, rund fünfzehn Meter vom Steg entfernt. Die aufgebrachten Arbeiter verdeckten seine Sicht auf die Zwillinge.
    Gleich neben dem Schlachthaus kreuzte eine Eisenbahnlinie den Wienfluß. Parallel zum Mariahilfer Gürtel führte sie hinauf zum Westbahnhof. Naß und frierend, den Schmerz in seiner Schulter von der Kälte betäubt, schleppte Gillian sich in nördliche Richtung.
    Ein Kilometer bis zum Bahnhof, dachte er bitter, und dann die halbe Welt bis zu einem Ort, an dem Lysander mich nicht finden kann.

KAPITEL 5
    Christopher wartete, bis der Diener das Essen vor der Treppe zum Dachboden abgestellt hatte, horchte, wie sich seine Schritte entfernten, schlich dann die Stufen hinunter und hob das Tablett auf. Er versicherte sich, daß niemand ihn beobachtete, lief zurück nach oben und sperrte hinter sich die Tür ab. Oben kippte er Fleisch und Gemüse von den Tellern in die Flammen des Athanor, wo es zischend verbrannte. Er würde das leere Tablett in ein oder zwei Stunden wieder an den Fuß der Treppe bringen, wo der Diener es später abholen würde.
    Seit nunmehr fünfzehn Tagen ließ er Nestors Essen auf diese Weise verschwinden. Bislang hatte niemand Verdacht geschöpft. Seit Jahren hatte Nestor sein Essen allein hier oben zu sich genommen, und seit ebenso langer Zeit war ihm der Diener nicht mehr persönlich begegnet. Niemandem fiel irgend etwas Ungewöhnliches auf. Niemand ahnte, daß Nestors Leichnam seit fünfzehn Tagen im Kräuterbeet des Dachgartens begraben lag.
    Christopher war nicht stolz auf das, was er tat. Aber er wußte auch, daß es der einzige Weg war, das Geheimnis des Dachbodens zu wahren und – wichtiger noch – für sich selbst zu nutzen. Er wollte nicht, daß irgendwer hier heraufkam und die jahrzehntelangen Forschungen des Alten zunichte machte. Und seit Auras Zornesausbruch, gab es keinen außer ihm selbst, der einen Schlüssel besaß.
    Nein, Christopher war vollkommen sicher. Es mochten Monate vergehen, ehe irgendwer die richtigen Schlüsse ziehen würde, vielleicht sogar Jahre. Bis dahin war Nestors Alchimistenlabor bei ihm in besten Händen.
    Er hatte sogar einen Weg gefunden, sich für kurze Zeit in die Bibliothek des Alten zu wagen, ohne daß ihm der Odem des Buchbinderleims Atem und Verstand raubte. In einem der Schränke des Laboratoriums hatte er eine Art gläsernen Helm entdeckt, der am Hals durch einen Bund aus Leder zugezurrt werden konnte. Nestor mußte ihn getragen haben, wenn er mit giftigen oder übelriechenden Essenzen experimentiert hatte. In dem Helm war genügend Luft, um es einige Minuten darunter auszuhalten. Obwohl er sich ein wenig lächerlich damit vorkam und das Ding ein beträchtliches Gewicht besaß, setzte Christopher es

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