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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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wurden. Das Wappen der Hofburg schützte sie. Die Summen, die Lysander für solche Privilegien zahlte, mußten unvorstellbar sein.
    Gillian stolperte durch Kisten und Körbe, gelangte hinter die Reihe der Stände und bog in eine schmale Gasse. Seine Schulter sandte pochende Schmerzstöße durch seinen Oberkörper, doch darauf konnte er keine Rücksicht nehmen. Die Gasse war kaum mehr als ein enger Spalt zwischen hohen Häuserwänden, nur gelegentlich von verriegelten Hintertüren durchbrochen. Gillian erkannte schnell, daß es ein Fehler gewesen war, diesen Weg einzuschlagen. Nicht nur hatten hier Stein und Bein beste Sicht auf ihr Opfer, sie hatten auch noch freies Schußfeld.
    Über die Schulter sah Gillian, daß die beiden keine zehn Sekunden hinter ihm die Gassenmündung erreichten. Sogleich erkannten sie ihren Vorteil, blieben stehen und legten mit ihren Waffen auf ihn an.
    Die erste Kugel peitschte um Haaresbreite über seinen Kopf hinweg, die zweite krachte links von ihm in die Mauer, streifte ihn als Querschläger und ließ ihn mit einem Aufschrei gegen die rechte Wand taumeln. Sein Glück, denn im selben Moment donnerte bereits der nächste Schuß und hätte ihn getroffen, wäre er nicht unfreiwillig zur Seite gestolpert.
    Ein Einschnitt tat sich zwei Schritte vor ihm in der rechten Wand auf. Geduckt hetzte er um die Ecke, hörte, wie sich auch Stein und Bein wieder in Bewegung setzten. Ihre Schritte hämmerten über schmutziges Pflaster, hallten laut in den schmalen Steingassen wider.
    Das Ende des Einschnitts führte abermals hinaus auf eine Gasse, und diesmal erkannte Gillian, wo er sich befand. Auf der anderen Seite wuchs das Schlachthaus am Wienfluß empor, am Südzipfel des Bezirks Mariahilf. Er rannte hinüber und hielt sich dabei die rechte Schulter. Durch ein offenes Tor gelangte er ins Innere. Arbeiter mit schmutzigen Schürzen schwärmten um ihn her, manche drängten mit ihm von außen herein, andere schoben sich ins Freie. Einige warfen ihm argwöhnische Blicke zu, die meisten aber ignorierten ihn. Gillian trug seit Tagen dieselbe Kleidung, immer noch die dunkle Hose und das schwarze Rüschenhemd, das er beim Mord an Nestor Institoris angehabt hatte. Seine Jacke war fleckig und an der Schulter vom Sturz aus der Kutsche aufgeschürft. Es war nur eine Frage der Zeit, ehe man ihn für einen Fleischdieb halten und hinauswerfen würde.
    Er schaute sich um und sah, wie Stein und Bein die Gasse überquerten. Die Waffen hielten sie unter den Mänteln verborgen, doch ihr Äußeres erregte auch so genug Aufsehen. Zudem hatte niemand hier gesehen, wie sie aus der kaiserlichen Kutsche gestiegen waren. Ihren Vorteil, als Polizisten aufzutreten, hatten sie damit verloren.
    Nicht, daß ihnen das viel ausgemacht hätte. Sie drängelten sich grob durch die Menge der Schlachthausarbeiter, was ihnen allerlei Flüche und Stöße einbrachte. Schließlich zog Stein seinen Revolver unter dem Mantel hervor und hielt ihn gut sichtbar in die Luft. Augenblicklich verstummten die Beschimpfungen, und eine breite Schneise öffnete sich vor ihnen – eine Schneise, an deren Ende Gillian dahinstolperte.
    Er bog jetzt in eine Halle ein, in der Hunderte von halben Rindern an langen Ketten von der Decke baumelten. Ein durchdringender Geruch nach Blut und rohem Fleisch schlug ihm entgegen. So schnell er konnte stürmte er durch das Labyrinth der ausgeweideten Kadaver, stieß immer wieder gegen einzelne Hälften, die hinter ihm hin und her pendelten.
    Ein Schuß krachte, als jemand versuchte, die Zwillinge zur Rede zu stellen. Gillian konnte nicht erkennen, ob die beiden tatsächlich auf einen Menschen gezielt oder nur einen Warnschuß abgegeben hatten.
    Jenseits des Kadaverwaldes fiel Tageslicht durch hohe Verladetore. Dahinter schimmerte fahl die Oberfläche des Wienflusses. Rinder und Schweine wurden über Stege von den Booten ins Schlachthaus getrieben. Nur wenige Schritte entfernt trugen kräftige Kerle Fleischpakete auf wartende Schiffe. Gillian mischte sich unter sie, wurde beschimpft und gerammt, doch keiner ließ seine Last fallen, um den Hermaphroditen aufzuhalten. Jene, die sein Gesicht sahen, blieben entgeistert stehen und wunderten sich über ihre eigenen Empfindungen.
    Noch ein Schuß peitschte durch die Fleischhalle, dann brachen Stein und Bein zwischen den Arbeitern hervor und schauten sich angestrengt nach Gillian um. Sie entdeckten ihn, als er sich gerade an mehreren Fleischträgern vorbei auf ein Boot drängte.

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