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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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weit, und jetzt, ganz allmählich, legte er sich wie eine gelbe Haut über die Konturen des Schattenmannes, modellierte ihn aus der Dämmerung, bis sie ihn schließlich erkannte.
    Der Glasrosenverkäufer. Der Mann, der sie zweimal vor dem Hotel angesprochen hatte.
    Eine Nase mit scharfem Grat. Farblose, schmale Lippen. Hohe Backenknochen, die eingefallenen Wangen darunter so tief wie ein zweites Paar Augenhöhlen. Große Augen, erstaunlich große Augen. Bernsteinfarben, nein, das machte nur das Licht, sie waren braun, von einem auffallend hellen Braun. Und er war viel älter, als Aura ihn sich vorgestellt hatte, weit über fünfzig, vielleicht auch sechzig. Er hatte volles graues Haar, lang genug, um es straff nach hinten zu kämmen; sie hatte ihn bislang nur von vorne gesehen, aber sie nahm an, dass er es am Hinterkopf zusammengebunden hatte. Er trug einen bodenlangen, beigefarbenen Mantel aus Leder, im Rücken bis zur Taille geschlitzt, mit weiten Ärmeln.
    Sie ließ ihn bis auf ein paar Schritte herankommen. »Stehen bleiben«, sagte sie dann.
    Sein Blick war sanft, fast ein wenig wehmütig. »Sie erinnern mich an Ihren Vater.«
    »Das bezweifle ich.«
    »Sie haben seine Augen.«
    »Falls das so ist, sind Sie der Erste, dem es auffällt.« Sie versuchte sich an Nestors Augen zu erinnern, aber es gelang ihr nicht. Sein ganzes Gesicht, er selbst, war nur ein Schemen in ihrer Vergangenheit, eine Erinnerung, die sie am liebsten vollkommen ausradiert hätte.
    »Hellblau«, sagte er. »Und die dunklen Augenbrauen, die haben Sie auch von ihm.«
    »Warum folgen Sie mir?«
    Er lächelte und verlagerte sein Gewicht von einem Bein aufs andere. »Warum sollte ich Ihnen folgen? Sie sind hergekommen, weil ich Sie eingeladen habe. Sie waren lediglich ein wenig schneller als ich.« Er mochte fast doppelt so alt sein wie sie, aber er war ein großer Mann mit breiten Schultern, und es wäre fatal gewesen, ihn zu unterschätzen. Grimaud und Raffael war vermutlich genau dieser Fehler zum Verhängnis geworden. Überdies verspürte sie kein Anzeichen jener Übelkeit, die sie sonst in Anwesenheit älterer Menschen fühlte – ein Anzeichen dafür, dass er zwar alt sein mochte, aber körperlich in bester Verfassung war.
    »Warum wollten Sie, dass ich hierher komme?«
    »Dieses Kastell war ein wichtiger Ort für Ihren Vater.«
    Sie schnaubte abfällig. »Mein Vater war über sechshundert Jahre alt. Das hier war nur eine von unzähligen Stationen in seinem Leben.« Sie wies mit der freien Hand auf die Fassaden der Gebäude. »All das hier war nicht wichtig für ihn. Da gab es andere Orte.«
    Er verzog das Gesicht wie ein beleidigtes Kind, nickte aber schließlich. »Schloss Institoris.«
    »Sie kennen das Schloss?«
    »Ich war nie dort. Aber ich weiß, dass Sie mit Ihrer Familie dort le-ben.«
    »Sie haben mir noch immer nicht die Frage beantwortet, was ich hier soll.«
    Er lächelte. »Es war Ihre eigene Entscheidung, herzukommen. Ich habe Sie nicht dazu gezwungen. Also sagen Sie es mir: Warum sind Sie hier, Aura Institoris?«
    »Ich habe keine Geduld für Ihre Spielchen, Senior Fuente.«
    »Eduardo. So hat mich auch Ihr Vater genannt.«
    »Ich bin nicht mein Vater.« Plötzlich kam ihr ein Gedanke, der sie mehr verstörte als das Wissen um das, was dieser Mann in Paris getan hatte. »Und ich habe nicht vor, seine Forschungen in diesem Kastell fortzuführen, falls es das ist, was Sie sich erhoffen.«
    Er machte einen Schritt auf sie zu. »Sie sollen stehen bleiben!«
    Das plötzliche Grinsen auf seinem Gesicht wirkte wie etwas, das dort nicht hingehörte. »Werden Sie mich erschießen?«
    »Wenn Sie mir keine Wahl lassen.«
    Er bewegte sich nicht weiter auf sie zu, aber das Grinsen blieb an seinen Zügen haften wie zäher Sirup. »Ich denke, Sie sind neugierig. Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
    »So?«
    »Darf ich Ihnen erst noch eine Frage stellen?«
    Sie starrte auf seine Hände und dachte daran, was sie Raffael und den anderen angetan hatten. »Fragen Sie.«
    »Als Sie in Grimauds Bibliothek das aufgeschlagene Buch mit dem Bild dieser Festung gefunden haben, was haben Sie da gedacht?«
    Der Revolver lag feucht in ihrer Hand. »Mir war noch schlecht von dem, was daneben lag.«
    Das Grinsen verschwand. »Glauben Sie nur nicht, dass mir diese Sache Spaß gemacht hat.«
    »Und einen Augenblick lang dachte ich doch tatsächlich, ich hätte es mit einem Irren zu tun.«
    Er lachte, aber es klang eher wie ein trockenes Husten. »Alles, was

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