Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche
ich getan habe, war nötig, um zu Ihnen durchzudringen.«
»Wieso haben Sie mich nicht einfach angesprochen?«
»Was hätten Sie dann wohl von mir gedacht?«
»Es wäre nicht nötig gewesen, all diese Menschen zu töten.«
»Ihrem Vater waren solche moralischen Bedenken fremd.«
Ihre Augen verengten sich. »Sie haben ihm geholfen, die Mädchen zu ermorden.«
»Sie nennen das Mord?« Seine Augen funkelten wie glühende Kohle. »Ihr Vater bevorzugte dafür den Begriff Wissenschaft.«
Sie schüttelte den Kopf. Es war zwecklos.
Er blieb stehen, beugte aber den Oberkörper leicht vor, als könnte er es gar nicht erwarten, näher an sie heranzukommen.
»Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet. Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie das Bild dieser Festung sahen?«
»Ich musste an meinen Vater denken.«
»Ja, ich weiß. Aber das ist noch nicht alles, oder? Die Erinnerung an Nestor war sicher nicht der Grund dafür, dass Sie diese Reise auf sich genommen haben.«
Sie weigerte sich, auszusprechen, was er hören wollte. Auch wenn – oder weil – es die Wahrheit war. Der Gedanke daran tat weh.
Sein Blick wurde lauernd. »War es nicht vielmehr so, dass ich Sie neugierig gemacht habe? Es war das Mysterium, das Sie gereizt hat. Seien Sie doch ehrlich. Ich kenne Sie, weil ich Ihren Vater gekannt habe. Sie können mir nichts vormachen. Sie haben auf eine Herausforderung gewartet – und ich habe sie Ihnen geliefert.« Er lächelte verschlagen. »Sie sollten mir dankbar sein.«
»Ich bin nicht Ihretwegen nach Paris gekommen.«
»Oh doch, das sind Sie. Ihr Suche nach dem Verbum Dimissum… Was glauben Sie denn, wer den Anstoß dazu gegeben hat?«
Sie hatte plötzlich das Gefühl, sich übergeben zu müssen. »Die Kiste mit den Büchern…«
Fuente lachte. »Sie haben wirklich geglaubt, sie käme aus Übersee, nicht wahr? Eine verschollene Bücherlieferung an Ihren Vater! Ich wusste, dass Sie mir auf den Leim gehen würden.«
»Sie haben diese Bücher geschickt?«
»Es war ziemlich schwierig, die Frachtpapiere zu fälschen. Aber ich wusste, dass die Erwähnung des Verbum Dimissum Sie neugierig machen würde. Alle Spuren, denen Sie gefolgt sind, die Fährte nach Paris – das alles war ich.«
»Aber…« Sie schluckte, fasste sich jedoch gleich wieder.
»Warum das alles?«
»Damit Sie und ich uns endlich begegnen. Nestors rechtmäßige Erben. Gemeinsam könnte uns das gelingen, woran er gescheitert ist.«
Sie machte einen Schritt nach hinten und setzte sich auf den Rand der Pferdetränke. Der Lauf ihres Revolvers zeigte weiterhin auf Fuentes Brust. Es kostete sie einige Mühe, dass er nicht zitterte. »Sie glauben allen Ernstes, ich würde mit Ihnen gemeinsame Sache machen?«
»Ach, Aura. Das tun Sie doch schon die ganze Zeit. Seit jenem Morgen, an dem Sie den Abdruck auf Ihrem Bett gefunden haben. Genau genommen sogar seit Ihrer Abreise vom Schloss. Das alles war geplant. Sie haben nie einen Schritt gemacht, ohne dass ich es so wollte.«
Ihr Zeigefinger legte sich immer fester um den Abzug der Waffe. Es wäre so leicht gewesen, einfach abzudrücken. Ihn zu erschießen. Sich aller Sorgen zu entledigen.
Aller Sorgen? Mach dir nichts vor. Du warst dankbar dafür, dass diese Sache dich von Gian und Sylvette und allem anderen abgelenkt hat. Er hat einen Köder ausgeworfen, und du hast ihn bereitwillig geschluckt. Wie ein Windhund, vor dem man ein totes Kaninchen über die Rennbahn schleift. Du bist einfach hinterhergelaufen.
»Ich werde Ihnen noch etwas verraten«, sagte er, »für den Fall, dass Sie es sich selbst nicht eingestehen wollen. Sie sind nicht nur gekommen, weil ich Sie neugierig gemacht habe, oder weil das Pflaster in Paris für Sie zu heiß wurde. Sie sind gekommen, weil dies Nestors Festung war. Und weil Sie gehofft haben, mehr über das zu erfahren, was er hier getan hat.«
»Er hat hier junge Frauen getötet. Mit Ihrer Hilfe.«
Er tat ihre Worte mit einer wegwerfenden Geste ab. »Hören Sie doch auf! Als ob es Ihnen nur darum ginge. All diese Mädchen sind seit vielen Jahren tot. Reden Sie sich doch nicht selbst ein, dass Sie um sie trauern. Heuchelei hilft weder Ihnen noch mir im Augenblick weiter.«
Sie überlegte, ob sie ihm ins Knie schießen und ihn hier zurücklassen sollte.
»Sie glauben, Nestor hätte hier nach dem ewigen Leben gesucht«, fuhr er unbeirrt fort. »Aber das war nicht alles. Er hat gewusst, was es bedeutet, jahrhundertelang am Leben zu bleiben. Er kannte
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