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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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und lief über das Ödland, bis ich schließlich, nach mehr als einem Tag Fußmarsch, zu dem zweiten Wasserloch kam, einem kleinen See. Am Ufer lag ein Mensch. Ein mächtiger Krieger, wie mir schien, denn er hatte Waffen und Teile einer Rüstung bei sich. Sein Körper war voller Narben, daran kann ich mich gut erinnern. Nie hatte ich bis dahin einen Menschen mit so vielen Narben gesehen.
    Er lag da im Schatten eines Felsens und hatte die Augen geschlossen. Im ersten Augenblick dachte ich, er wäre tot und das Wasser des Sees womöglich ebenfalls giftig. Dann aber sah ich, dass sich seine Brust hob und senkte. Er schlief.
    Nach dem langen Marsch war mein Durst größer als die Scheu vor dem Fremden. Ich ging ans Wasser und trank. Nachdem ich meinen Durst gelöscht hatte, merkte ich, dass ich auch hungrig war. Ich warf einen Blick auf den Schläfer und sah, dass ein kleines Bündel neben ihm im Gras lag. Seine Reise muss lang und beschwerlich gewesen sein, dachte ich, so erschöpft wie er ist. Und obwohl er voller Narben und halb verheilter Wunden war, wirkte er doch stark und gut genährt, und ich dachte bei mir, dass er sicher etwas zu essen in seinem Bündel hatte.
    Obwohl mir der Hunger die Eingeweide auffraß, blieb ich liegen und beobachtete ihn eine Weile. Trotz seiner Narben war er ein schöner Mann, mit vollem, dunklem Haar und großen Händen, die das gewaltige Schwert an seiner Seite gewiss mit großer Kraft führen konnten. Ich ahnte nicht, dass es Gilgamesch selbst war, der dort schlief und von seinen Kämpfen gegen den Himmelsstier und die Göttin Innana träumte.
    Langsam streckte ich die Hand aus, ergriff das Bündel und schlich damit hinter den Felsen. Ich hatte gehofft, getrocknetes Fleisch oder Brotfladen zu finden. Stattdessen fand ich einen Strauß grüner Krauter. Die Pflänzchen waren trocken, hatten aber nicht ihre Farbe verloren. In meiner Verzweiflung und meinem maßlosen Hunger verschlang ich alle hinter dem Felsen, nur wenige Schritte vom rechtmäßigen Besitzer des Krauts entfernt. Plötzlich spürte ich, wie mir schwindelig wurde. Meine Glieder wurden schwer, mein Blick verschwommen. Ich kroch in einen engen Felsspalt wie ein waidwundes Tier, um dort zu sterben. Ich wusste, dass der Mann mich dort nicht finden würde. Ich blieb liegen und verlor das Bewusstsein, und als ich erwachte, war wohl einige Zeit vergangen, denn der Fremde war fort. Abermals trank ich, dann machte ich mich auf den Heimweg, um allen im Dorf von dem See zu erzählen.
    Als ich zu Hause ankam, erfuhr ich, dass ich vier Tage unterwegs gewesen war. Die meisten Menschen waren tot, verdurstet, weil sie es nicht gewagt hatten, aus der heiligen Quelle zu trinken.
    Viele, auch meine Eltern, starben in den folgenden Tagen an Entkräftung. Auch ich selbst war halb wahnsinnig vor Hunger, aber ich blieb am Leben.
    Nachdem alles getan war, was in meiner Macht lag, verließ ich das Dorf und wanderte abermals hinaus ins weite Land.
    Hier war es, dass mich ein Suchtrupp entdeckte. Der König selbst führte ihn an. Nach seiner Rückkehr nach Uruk hatte er Krieger um sich versammelt, um den Dieb seines Schatzes zu suchen. Doch es war unmöglich, den Schuldigen für eine Tat zu finden, die niemand beobachtet hatte, und so kam Gilgamesch bald zu dem Schluss, dass ihn ein Dämon in Gestalt einer Schlange bestohlen haben musste, der uralte Versucher der Menschheit. Mit dem König und seinen Soldaten reiste ich nach Uruk. Ein junger Hauptmann nahm mich zur Frau, und er stieg bald auf in der Rangfolge am Königshof. So kam es, dass ich jahrelang ganz in der Nähe des Königs lebte, aber während mein Ehemann und Gilgamesch und alle anderen immer älter wurden, blieb ich ein junges Mädchen.«
    »Hat Gilgamesch jemals die Wahrheit erfahren?«, fragte Aura.
    Innana nickte. »Eines Tages rief er mich zu sich. Ich wusste bereits seit langem, dass er mich beobachtete, aber das war sein gutes Recht, denn mein Mann war in einer Schlacht gefallen, und es war das Anrecht des Königs, Anspruch auf mich zu erheben. In seinen Gemächern erzählte er mir von seiner Suche nach dem Kraut der Unsterblichkeit und von dem Diebstahl durch die Schlange. Allerdings fügte er hinzu, dass er sich möglicherweise geirrt habe und vielleicht ein einfaches Mädchen aus den Bergen das Kraut gestohlen haben könnte. Ich gestand nichts und stritt nichts ab, aber er erkannte die Wahrheit, denn auch wenn er manchmal ein grausamer und kriegerischer Herrscher war, so besaß

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