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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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zu werden. Und um zu erfahren, was du über Nestors Erlebnisse hier in der Sierra weißt. Als du mir dann von den Kindern erzählt hast und von dem, was in ihrer Macht liegt…« Er brach kurz ab und sagte dann: »Ich hatte keine andere Wahl. Der Tempel hat Vorrang vor allem.«
    »Und Raffael? All der Luxus, die rauschenden Feste?«
    Er wich ihrem Blick aus. »Ich habe mich hinreißen lassen, genau wie mein Vater vor mir. Ich habe dem Tempel geschadet, auch wenn ich immer nur sein Bestes wollte.«
    »Das kannst du vielleicht dir selbst einreden, aber ich kenne dich besser.«
    Wut blitzte in seinen Augen auf, aber er hielt seine Gefühle im Zaum. »Ich bin wie du ein Opfer der Tradition und der Geschichte meiner Familie.«
    »Du bist kein Opfer. Gian und Tess sind Opfer, und all jene, die sterben mussten.« Sie überlegte, ob er wohl wusste, dass Raffael tot war. Sie hätte es ihm sagen können, doch dann ließ sie es bleiben.
    Ohne ein weiteres Wort trat sie auf das Tor zu und drückte die schwere, unterarmlange Klinke herunter.
    »Aura!«
    Sie drehte sich noch einmal zu ihm um, widerwillig und mit einem scharfen Brennen in den Augen.
    »Als du die Forschungen deines Vaters weitergeführt hast«, sagte er, »da hattest auch du keine Wahl. Das hast du selbst immer gesagt. Es war dein Erbe, und du hast es akzeptiert – einschließlich der Schwierigkeiten, die damit verbunden waren. Du hast fortgeführt, was er begonnen hat, ohne Rücksicht auf deine Familie.« Er hob die Stimme, als er sah, dass sie widersprechen wollte. »Das, was ich tue, unterscheidet sich durch nichts von dem, was du getan hast. Auch ich habe mein Erbe akzeptiert. Und wir machen alle die gleichen Fehler, denkst du nicht auch?«
    Sie schloss für einen Moment die Augen und versuchte, den Vorwurf zu ignorieren. Dann ließ sie ihn stehen, innerlich erkaltet und von einem Schuldbewusstsein erfüllt, das ihr zuwider war.
    Sie betrat das Allerheiligste einer Göttin.
    Flammen loderten in einer kleinen Feuergrube im Zentrum des Turmzimmers, warfen zuckende Lichtkaskaden über die Wände. Die grobe Oberfläche des Steins erzeugte bizarre Schattierungen und ließ die Mauern porös und unwirklich erscheinen. Sowohl von der Decke als auch von Wandvorsprüngen hingen Gebilde aus einem Material, das Aura im ersten Moment für Äste hielt. Beim Näherkommen aber erkannte sie, dass es sich um Knochen von Vögeln handel-te. Tausende, Zigtausende von Vogelknochen, mit Fäden verbunden und verknotet zu fantastischen Formen, verzerrten, archaischen Masken. Ihre Schatten tanzten wie Gespenster durch den Raum.
    Am Fuß einer Wendeltreppe, die hinauf zu den Zinnen führte, stand eine schwere Werkbank. Darauf häuften sich Knochenberge, Werkzeuge, Töpfe mit Leim und Farbe, Rollen mit Fäden in unterschiedlichen Stärken und einige Spiegel, deren Zweck sich Auras Verständnis entzog. Ein weiterer Spiegel, mannshoch und fast genauso breit, befand sich unweit der Werkbank an der Wand.
    »Aura Institoris?«
    Die Stimme war leise und zurückhaltend, zudem weit jünger, als Aura erwartet hatte.
    »Aura Institoris?«, fragte die Stimme zum zweiten Mal. »Ja.«
    Es raschelte, dann trat eine schlanke Gestalt in den gelben Schein der Feuergrube. Erst jetzt fiel Aura auf, wie heiß es im Turmzimmer war, heißer noch als im unbarmherzigen Sonnenschein der Sierra.
    »Ich warte schon so lange auf dich«, sagte die Gestalt und kam näher. Sie sprach Französisch mit einem sonderbaren, exotischen Akzent.
    »Du bist Innana?«
    Die junge Frau nickte. Im Grunde, das erkannte Aura jetzt, war sie noch gar keine Frau, sondern ein Mädchen, äußerlich nicht älter als sechzehn, siebzehn Jahre alt. Das aber hatte nichts mit ihrem wahren Alter zu tun, falls Cristóbal die Wahrheit gesagt hatte.
    Die Ähnlichkeit war frappierend, auch wenn Innana von nahem nicht mehr Auras Spiegelbild glich. Sie hatte das gleiche lange schwarze Haar, das ihr bis auf die Hüften fallen würde, hätte sie es nicht zu einem Knoten am Hinterkopf hochgesteckt. Zwei lange Vogelknochen hielten die üppige Haarpracht; einstmals mochte dies der Schmuck einer Königin gewesen sein.
    Innanas Gesicht war schmal, die Wangen leicht eingefallen. Von Natur aus war sie um einiges dunkelhäutiger als Aura, doch ihre Gesichtszüge gaben kaum einen Hinweis auf ihre orientalische Abstammung. Ihre Nase war klein und schmal, ihre Augen grau. Es war der Blick dieser Augen, der Aura auf Anhieb verriet, dass Cristóbal nicht gelogen

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