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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sie die Tücken des Lebens durchschaut, während ihre ältere Schwester von einem Fiasko ins nächste schlitterte.
    Aura hatte Fehler gemacht, sehr viele Fehler. Nachdem Gillian sie verlassen hatte, hatte sie geglaubt, es könne nicht mehr schlimmer kommen. Nun aber hatte sie auch noch ihren Sohn verloren. Ihr Le-ben, ganz egal, wie lange es währen mochte, zerrann ihr unter den Händen. Die Ewigkeit war nicht mehr allein Verheißung, sondern auch Drohung.
    Blindlings stürzte sie sich auf ihre Studien, auf die ziellose Suche nach Dingen, die sie nicht wirklich verstand. Was war das Verbum Dimissum, dessentwegen sie nach Paris gekommen war? Ein Wort, mit dem die Schöpfung der Welt begonnen hatte. Doch falls sie es jemals fand – aufgeschrieben, ausgesprochen, ganz egal –, was würde sie damit tun? Sie wusste es nicht und hatte sich auch noch keine Gedanken darüber gemacht. Es war die Suche, die sie antrieb, und es spielte nicht wirklich eine Rolle, um was es dabei vordergründig ging. So lange es nur die Leere in ihrem Inneren füllte und verhinderte, dass sie allzu oft über sich selbst und ihr Versagen nachdachte.
    Verrückt.
    Zumindest auf dem besten Weg dorthin.
    Und alle starrten sie an.
    Sie nahm eine Droschke und ließ sich zu Philippes Palais fahren. Das Anwesen gehörte Auras Familie, eine von unzähligen Immobilien, auf denen der Reichtum der Institoris’ gründete. Es blieb abzuwarten, wie viel nach einem Krieg davon noch übrig sein würde. Phi-lippe Monteillet hatte das Haus vor vielen Jahren gemietet, als die Makler noch Auras Vater Rechenschaft schuldeten. Sie selbst hatte sich nach Nestors Tod lange Zeit nicht um die Besitztümer der Familie gekümmert, bis besorgte Briefe von Notaren und Justitiaren aus ganz Europa ihr schließlich die Notwendigkeit ihres Einschreitens vor Augen führten. So hatte sie den Erhalt des Vermögens als eine weitere Aufgabe akzeptiert, um sich von ihren trüben Gedanken abzulenken.
    Sie ließ sich unter dem schmiedeeisernen Torbogen der Auffahrt absetzen und ging den Weg zum Eingang zu Fuß. Sie wusste, wer ihr öffnen würde, und sie wollte ihm keinen Grund liefern, ihr Befinden in Frage zu stellen. Raffael wäre gewiss dankbar für jedes Zeichen ihrer Schwäche.
    Mochte der Teufel wissen, welchen Narren Philippe an dem Jun-gen gefressen hatte. Gewiss, Raffael sah gut aus, aber das taten sie alle, jeder von Philippes Liebhabern, denen sie über die Jahre bei ihm begegnet war. Raffael war nur der aktuelle in einer langen Reihe von Favoriten, die Philippe durch großzügige Geschenke bei Laune hielt. Er wusste es, sie wussten es. Es war ein Handel, von dem alle profitierten, perfekt für Männer mit Philippes Vermögen und Vorlieben.
    Raffael jedoch war anders als seine Vorgänger, und Aura war sich nicht sicher, ob auch Philippe das bemerkt hatte. Einmal, während ihres letzten Aufenthalts in Paris vor rund einem Jahr, hatte Raffael Aura unumwunden aufgefordert, sich mit ihm in eines der zahlreichen Schlafzimmer des Palais zurückzuziehen. Auras Besuch hatte eine Überraschung sein sollen, und Philippe war an jenem Tag nicht daheim gewesen. Raffael, der angeblich nur Männer liebte, war immer zudringlicher geworden.
    Da hatte sie ihm die Nase gebrochen. Seither waren die Fronten geklärt.
    »Aura«, sagte Raffael mit falschem Strahlen, als er ihr nun die Tür öffnete. »Wie schön.« Er blieb im Türrahmen stehen und machte keine Anstalten, sie einzulassen. Stattdessen musterte er sie von oben bis unten. Sie wusste, was er sah. »War eine lange Nacht, was?«
    Steckte er dahinter? Hatte er mit Philippes Geld einen seiner dubiosen Freunde bezahlt, um sie einzuschüchtern?
    Nein, Raffael würde schwerlich so viel Fantasie aufbringen. Zudem musste er noch immer befürchten, dass Aura Philippe von seinen Avancen erzählte.
    Raffael war gewiss ein Mistkerl, aber er hatte nichts mit den Geschehnissen in ihrem Hotelzimmer zu tun.
    Zumal diese Lösung auch einem anderen Verdacht widersprochen hätte, der sich allmählich in ihr breit machte. Es war höchste Zeit, mit jemandem darüber zu sprechen.
    »Lass mich rein, Raffael. Ich will zu Philippe.«
    Er grinste, sichtlich bemüht, trotz seines Widerwillens gut auszusehen. »Philippe hat viel zu tun. Der Maskenball, du weißt schon. Vielleicht kommst du lieber ein andermal wieder.« Sein hellblondes Haar stand in starkem Kontrast zu seinen dunklen Augenbrauen. Er war gebaut wie ein Artist, schlank und geschmeidig. Vor zehn

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