Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche
hatte sich getäuscht.
Im Laden der Dujols entdeckte sie Titel, von denen sie gehört, die sie aber nie selbst in Händen gehalten hatte. Dabei handelte es sich keineswegs nur um Bücher, die seit dem Aufkommen der alchimistischen Mode in Paris erschienen waren. Es gab Bände, die einmal in den großen Büchertempeln Europas gestanden hatten, in der Biblioteca Angelica in Rom, der Stiftsbibliothek von St. Gallen, den großen National- und Kirchenbibliotheken oder den exklusiveren und exquisiten Privatsammlungen zu Hofe und in den Häusern der geistigen Oberschicht. Nirgends waren Preise verzeichnet, aber wenn man sich an einen der beiden Besitzer wandte, wogen sie das Buch bedächtig erst in einer, dann in beiden Händen, beschnupperten Papier und Bindung, fuhren mit den Fingerspitzen die Maserung des Leders nach und prüften zuletzt den Titel und den Inhalt. Dann erst nannten sie einen Preis, der niemals zu niedrig und nicht verhandelbar war, und dabei betrachteten sie den Interessenten über den Rand des Buches hinweg mit winzigen Äuglein, die sie wie Geschwister, nicht wie Eheleute erscheinen ließen.
Eine helle Klingel ertönte, als Aura die Ladentür öffnete. Der Geruch nach alten Büchern war angenehm, er erinnerte sie an zu Hause, an die Familienbibliothek im Westflügel des Schlosses, vor deren Fenster sich die Brandung an den Felsen brach, und mehr noch an die Sammlung ihres Vaters unter dem Dach. Eine Schatzkammer der Alchimie, genau wie dieses Geschäft.
»Würden Sie bitte die Tür schließen, Mademoiselle?«
Die Stimme drang durch eine Lücke in einem prall gefüllten Bücherregal. Die Lücke wurde geschlossen, als eine Hand von der anderen Seite ein Buch hineinschob. Bevor es den Blick auf das Gesicht dahinter verstellte, hatte Aura Pierre Dujols erkannt.
»Natürlich.« Sie schob die Tür hinter sich zu. Das Klingeln ertönte zum zweiten Mal, winzige Glöckchen, die wie Messingtrauben über dem Türrahmen baumelten.
»Vielen Dank.«
Zu beiden Seiten des Raumes befanden sich Regale, die bis zur hohen, getäfelten Decke reichten. Vor der Bücherwand zu Auras Rechter stand ein langgestreckter Tisch, darauf mehrere Leselampen und ein hölzerner Globus mit ausgeblichenen Kontinenten. Wo sich einst Westeuropa befunden hatte, hatte jemand ein paar lateinische Worte eingeritzt, aber Aura hatte sich noch nicht die Mühe gemacht, sie zu entziffern.
Die Dujols raschelten irgendwo hinter den Regalen mit losem Pa-pier und Schutzumschlägen, ließen sich aber nicht blicken. Die Buchtitel, nach denen sie bei ihrem ersten Besuch gefragt hatte, hatten das seltsame Paar überzeugt, es mit einer ernsthaften Adeptin zu tun zu haben.
Aura stieg ein halbes Dutzend Stufen hinauf, die in einen zweiten, ungleich größeren Raum führten. Hier gab es mehrere Reihen von Bücherwänden, außerdem eine Anzahl winziger Kaffeehaustische. Auf den meisten häuften sich Bücher, ebenso an vielen Stellen des Bodens. Aura raffte ihr Kleid zusammen, um die wackligen Türme im Vorbeigehen nicht zum Einsturz zu bringen.
An einem der Tische saßen zwei junge Männer. Studenten, vermutete sie. Sie unterbrachen ihr Gespräch, als Aura über den Treppenstufen auftauchte. Erst neugierig, dann anerkennend schauten sie ihr entgegen. Einer wagte ein scheues Lächeln. Aura erwiderte es nicht und zog sich in einen der hinteren Winkel des Ladens zurück. Dort glitten ihre Blicke über die Buchrücken, fanden vieles, das sie bereits kannte, und anderes, das interessant schien, aber nicht das war, weswegen sie gekommen war.
Außer den beiden Männern waren keine weiteren Kunden im Laden. Obwohl die Bücherwände ihre Stimmen dämpften, konnte Aura ihr Gespräch mit anhören.
»Stein der Weisen, gut und schön«, sagte einer der beiden.
»Alle suchen nach dem Elixier, aber keiner hat doch wirklich eine Ahnung, was es bewirkt. Was passiert mit dem, der es zu sich nimmt? In der Literatur finden sich kaum Stellen dazu. Alle sprechen von der Unsterblichkeit und von unendlicher Weisheit. Aber wie wirkt sich das aus? Kann ich es von einem Tag auf den anderen mit den antiken Philosophen aufnehmen? Kann ich, ohne sie je gelesen zu haben, die Schriften Platons auswendig? Und was hat es mit der Unsterblichkeit auf sich? Das ewige Leben verspricht mir auch die Kirche. Aber was hilft es mir, wenn mein Körper im Grab liegt? Das Elixier muss doch darüber hinaus gehen. Ich meine, was wäre sonst der Sinn von all diesen Büchern?«
»Es hat noch keinem
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