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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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geholfen, wenn er die Dinge zu wörtlich genommen hat«, sagte der andere besänftigend. »Die Alchimie lehrt uns den Blick hinter das Profane und die…«
    Sein Freund unterbrach ihn. »Den Blick hinter das Profane, meine Güte! Gerede, nichts als Gerede! Was bedeutet das, will ich wissen. Versteh mich nicht falsch. Ich beschäftige mich genauso lange damit wie du« – ein Jahr, dachte Aura amüsiert, sicher nicht viel länger – »aber niemand kann mir eine vernünftige Antwort geben. Sagen wir, es würde mir oder dir oder irgendeinem anderen gelingen, das Große Werk tatsächlich zu vollenden und das Elixier herzustellen, und einer von uns wäre mutig genug, es an sich selbst auszuprobieren. Ich nehme also einen Schluck, und was dann? Muss ich nie wieder hus-ten, habe ich nie wieder Halsschmerzen und kann ich sichergehen, dass ich nicht am Fieber oder an Tumoren oder an weiß der Teufel was verrecke? Ist das die Unsterblichkeit? Oder bedeutet sie, dass mir keine Kugel und kein Säbel etwas anhaben können? Dann bin ich gewiss der Erste, der sich diesen Dummköpfen auf den Straßen anschließt und jubelnd in den Krieg zieht.«
    Der zweite Student senkte die Stimme. »Du solltest solche Reden nicht allzu laut schwingen. Nicht in diesen Zeiten.«
    »Wo sonst, wenn nicht hier?« Statt sich zu zügeln, wurde er noch lauter.
    »Die Geheimpolizei durchkämmt die ganze Stadt nach Spionen, heißt es.«
    »Und du glaubst, sie hat nichts Besseres zu tun, als uns zu belauschen?« Er lachte kurz auf. »Ich bitte dich!«
    Der andere seufzte. »Es ist dein Leben, und bislang jedenfalls bist du nicht unsterblich. Also pass lieber auf, was du sagst.«
    »Dass der Pöbel den Verstand verloren hat, müssten wohl auch die Herrn Geheimpolizisten einsehen, oder? Mich wundert, dass du dich derart zurückhältst, mein Freund. Seit Monaten stöbern wir in Büchern, mischen stinkende Tinkturen zusammen und übersetzen Texte, die ich selbst dann nicht begreifen würde, wenn sie nicht in diesem Kauderwelsch geschrieben wären. Und wozu das alles? Richtig, die Unsterblichkeit. Ewiges Leben. Das ist das Ziel. Aber diese Vollidioten mit ihren Gesängen und ihrem blinden Patriotismus, welches Ziel haben sie? Sich schnellstmöglich in irgendeinem Schützengraben in Stücke schießen zu lassen! Du wirst wohl kaum von mir verlangen können, dass ich angesichts eines solchen Irrsinns den Mund halte.«
    Aura war versucht, einen Blick auf den Sprecher zu werfen, doch es waren zu viele Regale im Weg. Nicht so wichtig, sagte sie sich. Deshalb bist du nicht hergekommen.
    Ihr Blick glitt weiter von einem Bücherbrett zum nächsten. Allmählich wurde ihr Nacken steif, weil sie den Kopf schräg halten musste. Die Bände, die sich in diesem Teil der Buchhandlung befanden, hat-ten meist biblische Themen, auch wenn die Auswahl so getroffen war, dass jedes einzelne auch dem Alchimisten auf seiner Suche behilflich sein mochte. Da standen Bücher über die magische Bedeutung der dreißig Silberlinge, die Judas für seinen Verrat erhalten hat-te; über die geheimen Sprüche Moses’; die Rezeptur, mit der jüdische Weise ein lebendiges Kalb in ein goldenes verwandelt hatten; die Hexenkraft der Maria Magdalena; über die alchimistischen Interessen des Pontius Pilatus; die Geheimlabors unterhalb Jerusalems; und über die Rolle König Davids in den ersten Experimenten zur Gewinnung des Aurum Potabile.
    Vieles war hanebüchener Unsinn, gewiss, doch selbst Nestor hatte sich mit einigen dieser Themen befasst, sodass nicht auszuschließen war, dass in dem einen oder anderen Band zumindest ein Quäntchen Wahrheit schlummerte.
    »Aber es geht nicht um den Krieg und auch nicht um mich«, sagte jetzt wieder der eine der beiden Männer. »Es geht um die Wahrheit, nicht wahr? Nur um die Wahrheit. Und ich frage dich, wie wirkt das Elixier? Was geschieht mit dir oder mir oder mit jedem anderen, der es trinkt?«
    »Sie haben Recht«, meldete sich eine dritte Stimme zu Wort. Sie gehörte Pierre Dujols, dem Buchhändler. »In der Tat, Sie haben Recht, mein lieber Jean-Claude. In der Literatur finden wir wenig darüber. Und da es doch zumindest einer Hand voll gescheiter Köpfe gelungen sein soll, das Werk zu vollenden, sollte man meinen, wenigstens einer hätte ein paar Worte darüber verloren, nicht wahr?«
    Eine Pause trat ein, und Aura sah in Gedanken vor sich, wie der vorlaute Student heftig nickte. Sie hatte weder ihn noch seinen Freund genauer betrachtet, als sie die Treppe

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