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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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weiterer Zweig des Templerordens überlebt habe. Anders als der Templum Novum hätten diese Männer angeblich noch heute ungeheure Macht.
    Lascari hatte behauptet, der sagenhafte Templerschatz, den selbst die Inquisitoren des Mittelalters nicht gefunden hatten, existiere noch heute. Bewahrt von den spanischen Templern.
    Auch dem Templum Novum stünde ein Anteil an diesen Reichtümern zu. Genug, um den Orden neu zu etablieren, Brüder und Schwestern zu werben und der Gruppe neuen Einfluss zu verschaffen. Dann hatte er Gillian aufgefordert, diesen Plan in die Tat umzusetzen.
    Geh nach Palma. Im früheren Templerpalast der Balearen soll es Hinweise auf den Verbleib unserer spanischen Brüder geben. Folge ihnen. Finde sie. Fordere von ihnen, was unser ist.
    Warum hatte Lascari ihn zum neuen Großmeister ernannt, wenn doch seine erste Mission vermutlich damit enden würde, dass ihn ein Haufen alter Männer erschlug – falls er sie überhaupt fand und ihnen seine Forderungen vortragen konnte?
    Er trug den Siegelring des Ordens am Finger, ein Schmuckstück aus dem dreizehnten Jahrhundert, und in seinem Gepäck befand sich eine Rolle geheimer Dokumente, die seinen Anspruch beweisen sollten. Aber würde das ausreichen, die Spanier zu überzeugen? Und selbst wenn sie ihm glaubten, weshalb sollten sie bereit sein, ihm einen Teil ihrer Reichtümer auszuhändigen?
    Es war lächerlich. Ein Witz. Und er und Karisma waren die Leidtragenden. Die spanischen Ordensbrüder würden sie zum Teufel jagen.
    Vorausgesetzt, der Orden existierte überhaupt. Genauso wie der Templerschatz.
    Nichts als die Fantasie eines Sterbenden. Die Ausgeburt eines Hirns, in dem sich Vergangenes und Erfundenes mit dem Wissen um alte Überlieferungen vermischt hatten. In alden Nächten an Lascaris Sterbelager hatte Gillian viele solcher Geschichten gehört. Wirre Legenden, die dem siechen Großmeister so unendlich viel zu bedeuten schienen. Aber es war eine Sache, sich diese Dinge anzuhören und dabei beruhigend die Hand eines Kranken zu halten – und eine ganz andere, deswegen um die halbe Welt zu reisen.
    »Ich weiß, was du denkst«, sagte sie. »So?«
    Sie schmunzelte. »Du machst nicht gerade ein Geheimnis daraus.«
    In ihrer Gegenwart machte er aus nichts ein Geheimnis. Das war ihre größte Fertigkeit, größer noch als ihr Geschick mit dem Schwert, ihre Entschlussfreudigkeit, ihre Schönheit: Sie entlockte ihm jedes Geheimnis, wenn sie es darauf anlegte. Allein durch die Art, wie sie ihn ansah. Durch eine Handbewegung. Manchmal durch simples Schweigen, erwartungsvoll.
    »Wir werden sehen«, war alles, was er erwidern konnte.
    »Ja.« Sie fasste einen Entschluss, jetzt in diesem Augenblick, das spürte er. Sie berührte sanft seine Hand, nicht stärker als der Windhauch vorhin an der Reling. »Spanien«, sagte sie. Nur dieses eine Wort.
    Er nickte langsam. Sie hatte Recht. Egal, was sie in Palma finden würden.
    Spanien.
    Und irgendwo dort, ein uralter Schatz.
    »Du und ich«, flüsterte sie. »Wir gehen zusammen dorthin.«
    Er nickte steif, drehte sich um und verließ die Kabine.
    Als er sich noch einmal umschaute, war die Tür bereits geschlossen. Ohne einen Laut.
    Aber auch ohne Bedauern?

KAPITEL 5
    Du bist jetzt Französin! Sprich Französisch! Sei französisch! Ja, verdammt, denk sogar auf Französisch!
    Das war alles, was Aura durch den Kopf ging, als sie sich aus einer stillen Seitengasse hinaus in die Menschenmenge drängte. Augenblicklich riss sie die Flut der Leiber mit der Gewalt eines Wasserfalls davon.
    Wenn irgendwer herausfand, woher sie tatsächlich stammte, dass sie keine Marquise de Montferrat war, wie sie seit Wochen vorgab – was dann? Würde man sie bespucken und beschimpfen? Sie der Polizei ausliefern? Oder auf der Stelle in Stücke reißen?
    Letzteres, gar keine Frage. Alles andere waren fromme Wünsche.
    Jeden Augenblick erwartete sie, jemand würde mit dem Finger auf sie zeigen, sie von irgendwoher wiedererkennen und ihren Namen brüllen.
    Aura Institoris! Das da drüben ist Aura Institoris! Eine Deutsche! Eine Spionin! Ein Feind!
    Es half nicht, dass sie sich immer wieder das Gegenteil einredete: Niemand kennt dich, niemand interessiert sich für dich.
    Zwecklos.
    Die Angst, die sie verspürte, war anders als jede, die sie bisher gekannt hatte. Nicht wie die Angst um Gian oder Tess; die Angst vor dem Sterben, die sie als Kind gehabt hatte; nicht einmal wie die Angst vor Lysander und Morgantus, damals vor zehn Jahren. Diese

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