Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche
Rest los wird. Es heißt, ein paar verrückte Deutsche verehren ihn und seine Thesen, aber damit ist es nun wohl bis auf weiteres vorbei. Der Krieg trifft halt jeden, auf die eine oder andere Weise.«
»Haben Sie seine Adresse? Sie steht nicht im Buch.«
Dujols legte den Kopf leicht schräg und musterte sie abermals von oben bis unten. »Sie wollen ihn besuchen?«
»Möglicherweise.«
Seine Frau meldete sich zu Wort. »Seine Adresse, natürlich haben wir die! Pierre, schau mal im Schubfach nach.«
»In welchem?«
»Im dritten. Rechts. Ja, genau das da.«
Der Buchhändler zog ein Notizbuch hervor, blätterte darin und zeigte schließlich mit einem Finger auf das Papier. »Hier ist er. Gaston Grimaud.«
Aura verstand es als Aufforderung, die Anschrift selbst abzulesen. Doch als sie in das Buch blicken wollte, grummelte er etwas, verstellte ihr die Sicht und schrieb die Adresse auf einen Zettel. Dann legte er das Buch zurück in die Schublade und reichte Aura die Notiz.
»Hier«, sagte er. »Sie brauchen ihn nicht von mir zu grüßen.«
Seine Frau verdrehte die Augen. »Mein Mann ist ein Griesgram. Machen Sie sich nichts draus. Und, natürlich, bestellen Sie Monsieur Grimaud unsere besten Wünsche und erkundigen Sie sich in unserem Namen nach seinem nächsten Buch.«
Dujols brummelte mürrisch. »Gott bewahre.«
Aura verabschiedete sich. »Ich danke Ihnen. Sie sind sehr freundlich.«
Der Buchhändler zupfte mit Daumen und Zeigefinger an der faltigen Haut über seinem Adamsapfel. »Wissen Sie, die meisten, die hier zur Tür hereinspazieren, sind Bengel wie diese beiden Kerle vorhin. Oder steinalte Greise. In den seltensten Fällen einmal Paradiesvögel wie Ihr Bekannter Monsieur Monteillet. Aber hübsche junge Damen wie Sie, Mademoiselle, sehen wir hier selten.«
Seine Frau lächelte nachsichtig. »Er glaubt immer noch, dass man die Mädchen mit ein paar alten Büchern herumbekommen kann.« Sie trat neben ihn und tätschelte sanft seine Hand. »Nur weil es einmal geklappt hat.«
Er errötete, ein Anblick, der Aura überraschte und ein wenig verlegen machte. Sie bedankte sich noch einmal, reichte ihnen zum Abschied die Hand und verließ das Geschäft. Aus dem Augenwinkel sah sie durchs Schaufenster, dass die beiden reglos stehen blieben wie zwei Spieluhren, die zur gleichen Zeit abgelaufen waren: Hand in Hand, den Blick hinaus auf die Straße, auf Aura gerichtet.
Erst als sie bereits die nächste Kreuzung erreicht hatte, fiel ihr ein, dass sie nicht darauf geachtet hatte, wie viele Finger Dujols an jeder Hand hatte.
Fünf, nicht wahr?
Es waren fünf.
Sie atmete tief durch und setzte ihren Weg fort.
Fünf Finger. Ganz bestimmt.
KAPITEL 6
In den vergangenen Tagen hatte sie begonnen, Paris in schwarzweiß wahrzunehmen. Straßenzüge wie Fotografien, grau und schattig, sogar im Sonnenschein. Menschen mit bleichen, abweisenden Gesichtern.
Schwarz. Weiß.
Am Abend des Maskenballs aber kehrten die Farben zurück, eine ganze Palette, die ihre Wahrnehmung einfärbte und ein wenig Leben, sogar einen Anflug von Heiterkeit in ihre Gedanken zauberte. Sie war dankbar dafür, auch wenn es sie im ersten Moment irritierte.
Ihre Maske war einer stilisierten Katze nachempfunden. Sie bedeckte die obere Hälfte ihres Gesichts und umrahmte ihr Blickfeld mit einem dunklen Oval. Die Maske war aus Samt, schwarzem Pferdehaar und Glassteinen gefertigt. Aura hatte sie mit Philippe gleich nach ihrer Ankunft in Paris gekauft; sie war seine Wahl, nicht die ihre. Im Grunde war es ihr gleichgültig, was sie trug, wenn ihr auch insgeheim der Gedanke gefiel, sich vor den anderen Gästen zu verbergen. Es lag eine bittere Wahrheit darin, denn im Grunde tat sie seit Jahren nichts anderes. Sie versteckte sich hinter Büchern und Experimenten. Hinter ihrem gottverdammten Selbstmitleid.
»Da bist du ja.« Philippe strahlte unter dem Rand seiner Pfauenmaske, als er sie in der Menge entdeckte.
Sie hatte allein im Zentrum des prachtvollen Ballsaals gestanden, wo sie amüsiert, aber auch ein wenig neidisch das Treiben der Menschen beobachtete, die Vielfalt der Masken und das Funkeln echter und falscher Juwelen.
Er tätschelte ihre Hand. »Ich hatte schon befürchtet…«
»Dass ich nicht käme?«
»Raffael meinte, du hättest eine Andeutung gemacht, als du uns gestern verlassen hast.«
»Eine Andeutung?«
»Er sprach von… nun, von starkem Erbrechen.«
»Wie charmant.« Natürlich hatte sie nichts dergleichen erwähnt. Raffaels
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