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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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zugleich bewusst, dass dies eigentlich die Gedanken einer Frau waren, die sehr viel älter war als sie.
    »Wann willst du zu Grimaud gehen?« »Morgen.« »Soll ich dich begleiten?« »Danke. Aber ich glaube nicht, dass das nötig ist.« »Wie du willst.« »Beleidigt?« »Unsinn. Du bist jung, und du hast dir eine Aufgabe gestellt. Das ist gut. Und falls du doch meine Hilfe brauchst, weißt du, dass du jederzeit zu mir kommen kannst.« Während er sprach, irrte sein Blick mehrfach über ihre Schulter hinweg in den großen Ballsaal. Er war nicht mehr wirklich bei der Sache, und sie konnte es ihm nicht verübeln. Es war an der Zeit, das Gespräch zu beenden. Vielleicht fand sie ja noch einen Tanzpartner, mit dem sie sich aufs Parkett wagen konnte.
    Als sie sich umwandte, entdeckte sie, was Philippe so beunruhigte.
    Raffael und ein anderer Mann, maskiert als Wolf, aber von feingliedrigem, fast femininem Wuchs, standen eng umschlungen am anderen Ende des Saals.
    »Philippe«, sagte sie beschwichtigend und wollte eine Hand nach ihm ausstrecken, doch da hatte er sich bereits in Bewegung gesetzt.
    Einige Herzschläge lang blickte sie ihm hinterher, wie er mit zielstrebigen Schritten durch die Menge eilte. War es nicht das, was sie gewollt hatte? Ein Eklat zwischen Philippe und Raffael? Jetzt, da es so weit war, spürte sie nichts als Traurigkeit.
    Sie wollte den Verlauf der Auseinandersetzung nicht mit ansehen, löste ihren Blick von Philippe und rauschte in ihrem langen Kleid in den zweiten Saal. Sie wusste, dass sie Aufmerksamkeit erregte, pechschwarz von Kopf bis Fuß, aber sie kümmerte sich nicht um die verstohlenen Blicke durch Augenschlitze. Stattdessen nahm sie vom Tablett eines vorbeikommenden Kellners ein Glas Champagner, leer-te es in einem Zug und fühlte sich augenblicklich besser. Es war nicht der Alkohol, der sie belebte, sondern der Geschmack. Sie hatte fast vergessen, wie Champagner schmeckte. Auf Schloss Institoris gab es keine Feste, und Einladungen nach Berlin waren Sylvette, Tess und Gian in der Regel ohne sie gefolgt. Aura hatte es so gewollt.
    Neugierig schob sie sich durch die Menge der Maskierten. Die meisten trugen venezianische Masken mit spitzen, langen Nasen und schattigen Augenpartien. Aber sie sah auch Löwen, Tiger und einen Panther, verschiedene Halbmonde in Silber und Gold, ein Sonnengesicht und einen wandelnden Eiffelturm.
    An den Tafelwänden standen Sessel und Sofas mit gemusterten Bezügen, auf denen die Damen in gespielter Erschöpfung niedersanken, wenn ihre Partner sie von der Tanzfläche führten. Kokettieren hatte nie zu Auras Gewohnheiten gehört, aber jetzt, an diesem Ort, weckte der Anblick in ihr eher Belustigung als Missfallen.
    Eine Wand des Saals war mit meterhohen Spiegeln verkleidet. Mehrmals sah Aura sich selbst als schwarzen Schemen zwischen den Menschen.
    Erst beim dritten oder vierten Mal wurde ihr klar, dass die dunkle Gestalt in den Spiegeln keine Maske trug.
    Erstaunt blieb sie stehen und sah genauer hin. Sie fand ihr Abbild auf Anhieb, komplett mit Katzenmaske. Sie musste sich getäuscht haben.
    Sie trank ein zweites Glas Champagner und blickte erneut zur Spiegelwand hinüber. Da war sie, ein schwarzer Fleck zwischen all den farbenfrohen Kleidern und Gewändern. Es sah aus, als glühten sogar ihre Augen wie die einer Katze – nur das Licht des Kronleuchters, der sich in den Glassteinen der Maske brach.
    Zwei Gläser Champagner, und du siehst Gespenster. Großartig.
    Nicht allzu weit vor ihr befand sich die zweiflügelige Tür, die hinaus auf die Terrassen führte. Dort herrschte ein stetes Kommen und Ge-hen: Gäste aus den Ballsälen flanierten an der frischen Luft, genossen die klare Nacht und gingen nach einer Weile wieder hinein, oft mit neuen Partnern am Arm.
    Sie fragte sich, was es wohl war, das sie selbst dort hinaus zog. Die Dunkelheit? Der Sternenhimmel?
    Was willst du hier eigentlich, ganz allein?
    Du hast die Dinge zu oft selbst in die Hand genommen. Nun laß dich einmal treiben. Genieße den Abend. Denk einfach an gar nichts. Nicht an Philippe und Raffael, die beide alt genug sind, um mit ihren Problemen klarzukommen. Nicht an die Hand aus Blut. Nicht an das gottverdammte Verbum Dimissum, das ohnehin mit jedem Tag bedeutungsloser wird.
    Vielleicht war es an der Zeit, etwas anderes mit ihrem Leben anzufangen, als immer nur neuen Facetten des Großen Werks nachzujagen, ohne ihm je wirklich nahe zu kommen.
    Dieses Fest war ein erster Schritt. Genauso wie

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