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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Bahnfahrt von Zürich nach Wien. Kurz nachdem er sie aus ihrer Gefangenschaft im Sankt-Jakobus-Stift befreit hatte.
    Nestor, ihr Vater, hatte einst in dieser Festung gelebt und dort seine Forschungen betrieben. »Dieses Kastell in den Pyrenäen ist ein vergessener Ort«, hatte Gillian ihr damals erklärt, »viele, viele Jahrhunderte alt. Es heißt, es stehe auf einem Berg, auf dem einst der Heilige Geist in der Krone einer Kiefer Hof hielt.« Nachdem Nestor die Burg verlassen hatte und weiter nach Norden gezogen war, hat-ten auch seine beiden Erzfeinde Lysander und Morgantus den Weg dorthin gefunden, getrieben von Hass und Neid auf ihren einstigen Gefährten. Hier hatten sie abermals seine Fährte aufgenommen, die sie schließlich zum Schloss an der Ostsee führen sollte, Nestors neuem Versteck und Stammsitz der Familie Institoris.
    Erst viel später, lange nachdem Gillian sie verlassen hatte, hatte Aura sich wieder an seine Worte erinnert und in der Familienbibliothek nach Hinweisen auf das Kastell in den Pyrenäen gesucht. Die Suche war mühsam gewesen. Nestor hatte im Lauf seines Jahrhunderte langen Lebens Grundbesitz in aller Herren Länder erworben, eine Tatsache, die der Familie heute von Nutzen war. Schließlich hatte sie eine Urkunde entdeckt, die belegte, dass ihr Vater im Jahr 1812 tatsächlich einen Berggipfel in den Pyrenäen erworben hatte, in der Nähe der Ortschaft Soldeu. Der Kauf beinhaltete neben dem Land auch eine Festungsruine aus dem Mittelalter, deren einzige Bewohner in den vergangenen Jahrhunderten ein paar Bergziegen und Adler gewesen waren. Aura hatte den Ort nie besucht, aber sie hatte eine Zeichnung gefunden, ähnlich jener, die sie jetzt in Grimauds Buch vor sich sah. Darauf war zu erkennen, dass das Gemäuer unter einem mächtigen Felsüberhang in den Berg hineingebaut worden war. Der achteckige Umriss verriet ihr zudem, dass aller Wahrscheinlichkeit nach Tempelritter die Anlage errichtet hatten. Auch das Sankt-Jakobus-Stift und das Templerkloster im Kaukasus, in dem sie vor zehn Jahren Lysander begegnet war, hatten achteckige Grundrisse gehabt.
    Eine Templerburg. Nestors Festung.
    Plötzlich war Aura die Vergangenheit so präsent, als wären seit den Ereignissen von damals nur Wochen vergangen. Innerhalb weniger Augenblicke durchlebte sie erneut ihre Flucht aus dem Internat in den Schweizer Bergen. Ihre erste Begegnung mit Gillian. Ihr Abschied von Nestor in Verbitterung und Zorn, kurz vor seiner Ermordung. Sie hatte das Gefühl, die Wälder rund um das Templerstift riechen und die Bergwinde Swanetiens in ihrem Haar spüren zu können. So viele Eindrücke, so viele Gesichter.
    So viele Tote.
    Sie warf einen letzten Blick auf die blutgetränkte Zeichnung, dann schlug sie das Buch mit einer wütenden Handbewegung zu.
    Warum sie? Und warum heute?
    Wer tötete einen Mann wie Grimaud auf so bestialische Weise, nur um sie auf das Kastell in Andorra aufmerksam zu machen?
    Wer machte sich solche Mühe, Kontakt zu ihr aufzunehmen, ohne ihr je gegenüber zu treten? Warum ein solches Versteckspiel, für das Unschuldige bezahlen mussten?
    Einen Moment lang überlegte sie, was wohl geschehen würde, wenn sie sich auf das grausame Spiel des Unbekannten einließe, und sie begriff, dass sie die ersten Züge längst gemacht hatte.
    Und falls doch der Chevalier dahinter steckte, auch wenn Philippe das für unwahrscheinlich hielt? Philippe war nicht allwissend, nicht einmal besonders klug. Sie musste die Möglichkeit in Betracht ziehen. Allein sein Name war ein möglicher Hinweis. Der Chevalier. Der Ritter.
    Gegen ihren Willen erschien abermals Gillians Gesicht vor ihren Augen. Er war ein Angehöriger des Templum Novum, eines Überbleibsels der ursprünglichen Bruderschaft der Tempelritter.
    Sie vermisste ihn. Sogar heute noch, nach all den Jahren. Bei Gott, wie sehr sie ihn vermisste!
    Er hätte genau gewusst, was zu tun war. Und selbst wenn nicht – er hätte eine Entscheidung getroffen, irgendeine, damit es weiterging. Er war nie besonders geduldig gewesen, wenn sich die Dinge im Kreis bewegten. Möglicherweise war auch das einer der Gründe, weshalb er gegangen war.
    Aber nein, du weißt genau, was ihn vertrieben hat. Du selbst warst es. Dein Egoismus. Deine Angst, allein mit deiner Unsterblichkeit fertig werden zu müssen.
    Sie stand auf, trat ans Fenster und starrte gedankenverloren hinaus auf die Seine. Allmählich verwandelte die Sonne Paris in einen Hochofen. Die Luft bewegte sich in Schlieren

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