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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Räder und das weit entfernte Stampfen der Dampflokomotive.
    Aura war unendlich müde. Sie hatte in den vergangenen Nächten kaum geschlafen, und auch heute sah es aus, als würde sie keine Gelegenheit bekommen, für ein paar Stunden die Augen zu schließen. Erst die Flucht aus der Wohnung in der Rue CampagnePremière, dann die Konfrontation mit Raffael und schließlich die grausige Entdeckung im Schließfach. Mochte sie sich auch noch so oft einreden, dass sie gut mit all dem zurechtkam, dass die Belastung und die Sorgen zu ertragen waren, so spürte sie doch das zermürbende Nagen der Wahrheit. Sie war auf dem besten Wege auszubrennen wie eine Kerzenflamme, die im eigenen Wachs ertrinkt. Um sie herum war zu viel von ihr selbst; zu viel war geschehen, das in einer direkten Verbindung zu ihr stand.
    Und wenn morgen der Eiffelturm einstürzt, ist vermutlich auch das meine Schuld, irgendwie.
    Sie misstraute den Zwillingen. Sie konnte nicht anders.
    Salome hatte ein Schließfach erwähnt. Meinte sie das Schließfach? Nein, natürlich nicht.
    »Wohin fahren Sie?«, fragte Aura ohne echtes Interesse. Falls die Kaskadens tatsächlich für den Kaiser spionierten, zumindest aber mit dem Geheimdienst in Verbindung standen; wäre es vermutlich klüger gewesen, keine Fragen zu stellen. Je weniger sie über die beiden wusste, desto besser.
    Plötzlich musste sie lachen, ein schmerzhaftes, bitteres Lachen. Al-les war so unwirklich. Sie machte sich Sorgen, in Begleitung zweier Spioninnen der deutschen Krone erwischt zu werden, obwohl sie doch fürchten musste, dass der Wahnsinnige, der Raffael, Mylène und Grimaud auf dem Gewissen hatte, mit in diesem Zug saß. Es konnte gar nicht anders sein. So leicht würde er sich nicht abschütteln lassen, nicht nach allem, was er unternommen hatte, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen.
    Und plötzlich hatte sie Angst um die beiden jungen Frauen in ihrem Abteil. Ihr Lachen erstarb.
    Die Schwestern sahen sie befremdet an. »Alles in Ordnung?«, fragte Salome zweifelnd.
    Aura winkte müde ab. »Schon gut. Entschuldigen Sie.«
    Lucrecia beobachtete sie weiterhin mit Argwohn, aber Salome war darauf bedacht, das Gespräch in Gang zu halten. »Sie haben gefragt, wohin wir fahren. Wir sind unterwegs nach Spanien. Wahrscheinlich wie die meisten in diesem Zug. Wir sind jetzt«, sie kicherte, »wir sind jetzt Pilger.«
    Auras rechte Augenbraue rutschte nach oben.
    »Wir fahren nach Santiago de Compostela. Weit weg von den Franzosen und den Deutschen und diesem ganzen Irrsinn«, sagte Lucrecia. »Zum Grab des Heiligen Jakobus. Seit dem Mittelalter rei-sen Gläubige dorthin, um seine Gebeine zu sehen.«
    »Jakobus war der erste Apostel, der als Märtyrer starb«, sagte Salome. »Man hat ihm den Kopf abgeschlagen.«
    Der Schleier vor Auras Augen verflüchtigte sich. Den Kopf. Zum ersten Mal betrachtete sie Salome Kaskaden genauer. Bislang hatte sie die junge Frau mit den blonden Zöpfen für die freundlichere, aber auch etwas naivere der Schwestern gehalten. Jetzt aber fragte sie sich, ob sie Salome richtig eingeschätzt hatte. Wusste sie mehr, als sie zugab?
    Nein, mach dir nichts vor. Sie hat nichts damit zu tun. Aber sie kennt den Chevalier.
    Richtig, und du hast mit ihm geschlafen! Macht dich das vielleicht zum Mörder?
    Sie holte tief Luft und sank erschöpft nach hinten. Das Polster der Bank war hart, aber ihre Rückenmuskulatur entspannte sich. Ein Königreich für ein Federbett.
    »Ich habe nachgedacht«, sagte sie. »Über das, was ich in Ihrer Wohnung gesehen habe.«
    Lucrecia rollte die Enden ihres Pferdeschwanzes zwischen den Fingern. »Über Ihre Vision?«
    Aura nickte. »Sagt Ihnen der Begriff Schwarze Isis etwas?«
    Die Schwestern wechselten einen Blick. »Ist das der Name, den Sie der Frau in der Vision gegeben haben?«, fragte Salome.
    Aura schüttelte ungeduldig den Kopf. »Er war einfach da. Ich weiß nicht, wie ich’s besser sagen soll. Gut möglich, dass es nichts mit dieser Frau zu tun hat. Wahrscheinlich habe ich vor Jahren in einem Buch darüber gelesen, und die Bilder haben die Erinnerung daran zurückgebracht. Aber ich weiß beim besten Willen nicht, wann und in welchem Zusammenhang ich darüber gestolpert bin.«
    Lucrecia hörte auf, mit ihrem Haar zu spielen. »Haben Sie sich jemals mit Marienbildern beschäftigt?«
    »Nein.«
    »Aber Sie wissen, was eine Schwarze Madonna ist, nicht wahr?«
    »Ich denke schon. Das sind Marienstatuen aus dunklem Stein.« Sie erinnerte sich an die

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