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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Sammlung unterschiedlichster Kultgegenstände in der Wohnung der Zwillinge und lächelte.
    »Aber ich vermute, Sie können mir mehr darüber erzählen.«
    Lucrecia nickte. »Es gibt heutzutage nicht mehr viele Schwarze Madonnen in Europa. Was Frankreich angeht, so stehen zwei der berühmtesten in der Kathedrale von Chartres. Andere gibt es in Vichy, Marseille und Quimper. Die Kirche beruft sich dabei auf eine Stelle im Hohelied Salomos.«
    Ihre Schwester zitierte: »Ich bin schwarz, aber gar lieblich, ihr Töchter Jerusalems, wie die Zelte Kedars, wie die Teppiche Salomos. Seht mich nicht an, dass ich so schwarz bin, denn die Sonne hat mich verbrannt.«
    »Kirchen und Klöster mit Schwarzen Madonnen gelten seit jeher als besonders beliebt bei Marienanhängern«, sagte Lucrecia. »Einige sind zu Pilgerstätten geworden.«
    »Aber was hat das mit Isis zu tun?«, fragte Aura.
    »Isis ist die Göttermutter der ägyptischen Mythologie. Aber sie taucht auch in vielen anderen Kulturen des Vorderen Orients und Nordafrikas auf. In den meisten wird behauptet, sie sei die erste Göttin gewesen, jene, die alle anderen geboren hat. Die Urgöttin. Und, ihrer Herkunft entsprechend, war sie natürlich dunkelhäutig.«
    Salome nahm den Faden auf. »Die Künstler jener Zeit haben ihre Isis-Statuen aus einem dunklen, meist schwarzen Stein gehauen. Als die Eroberer aus Europa in Afrika einfielen, wurden viele dieser Figuren gestohlen. Allein die Kreuzfahrer haben unzählige mitgebracht. Die Kirche wollte sich freilich nicht damit abfinden, dass es sich bei diesen Statuen um eine heidnische Göttin handelte, deshalb wurden viele umgearbeitet – und so wurde aus der Schwarzen Isis eine Schwarze Muttergottes. Später stellten europäische Künstler auch eigene Schwarze Madonnen her, aber eine Reihe von denen, die heute noch existieren, haben schon in den Tempeln Afrikas gestanden.«
    Lucrecia lächelte. »In ihnen allen schlägt noch immer das Herz der Schwarzen Isis, der Mutter aller Götter.«
    Aura nickte gedankenverloren. Sie konnte sich jetzt wieder vage erinnern, dass sie auf einen Teil dieser Geschichte in einem alchimistischen Traktat aus dem achtzehnten Jahrhundert gestoßen war. Auch das erste der vier Stadien des Steins der Weisen war der Legende nach schwarz, und der Autor hatte eine symbolische Parallele gezogen zwischen der Farbe der ersten Göttin und jener der ersten Stufe des Großen Werks.
    Sie erzählte den Zwillingen davon. »Ich frage mich nur«, sagte sie dann, »warum mir der Begriff der Schwarzen Isis ausgerechnet im Zusammenhang mit der Vision eingefallen ist.«
    Salome hob die Schultern. »Die Frau hat Schwarz getragen, und sie hat ein Kind zur Welt gebracht. Die Verbindung ist doch offensichtlich.«
    Für Aura klang das wenig überzeugend.
    »Glauben Sie denn«, fragte Lucrecia, »die Frau in Ihrer Vision war Isis?«
    Aura schüttelte den Kopf. »Es ist sehr lange her, dass ich darüber gelesen habe. Ich schätze, das Ganze war nur ein Zufall, irgendwas, an das ich mich erinnert habe.«
    Ja, natürlich. Alles nur Zufall. Genauso wie der Tod von Grimaud und Raffael und Mylène. Oder die Tatsache, dass der Chevalier die gleiche Vision gehabt hatte.
    Salome schnaubte leise, sagte aber nichts.
    »Um ehrlich zu sein«, fuhr Aura fort, »dachte ich im ersten Moment, die Frau in der Vision sei ich selbst. Und als das Kind dann noch Gians Augen hatte…« Mit einem Kopfschütteln verstummte sie. Andere Bilder kamen ihr in den Sinn. Das vage Spiegelbild, das sie in Philippes Ballsaal gesehen hatte. Das war ich nicht. Und dann der Moment in der Gasse, auf dem Weg zum Buchladen der Dujols: Einen Augenblick lang hatte sie geglaubt, unter einem Torbogen sich selbst stehen zu sehen. Doch beim Näherkommen hatte sie nur Schatten vorgefunden.
    »Nicht alle Isis-Statuen in Europa wurden christianisiert«, sagte Lucrecia. »Eine davon hat bis vor einigen Jahren in der Kathedrale von Metz gestanden, eine andere in St. Etienne in Lyon.«
    »Wie haben sie ausgesehen? Ich meine, in ihrer ursprünglichen Form?«
    »Sie waren nackt, und über ihren Kopf war eine Art Schleier oder Tuch gebreitet. Ihre Brüste waren ausgetrocknet und hingen nach unten wie die der Diana von Ephesus.«
    »Sie kennen sich gut aus mit diesen Dingen.«
    Salomes Finger strichen über die Hand ihrer Schwester. »Sie ha-ben unsere Sammlung gesehen. Die Inkarnationen der Muttergöttin sind so was wie unser Steckenpferd. Was wir damals in Afrika erlebt haben…

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