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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ablegte.
    Unwillkürlich trat Aura einen Schritt zurück und zog Gillian mit sich.

    Der Hausdiener öffnete die Tür. »Oh, Fräulein Octavian!«, rief er aus. »Herzlich willkommen! Wir haben Sie noch gar nicht erwartet.«
    Sophia, dachte Aura.
    Aber dann sagte eine fremde Frauenstimme: »Ich habe darauf verzichtet, meinem Bruder ein Telegramm zu schicken, weil ich annahm, er würde ohnehin vergessen, Sie über meine Ankunft in Kenntnis zu setzen.«
    »Und Sie haben Besuch mitgebracht«, stellte Jakub fest.
    »Guten Tag«, sagte eine weitere Stimme, ebenfalls weiblich.
    Aura traf fast der Schlag.
    Gillian versuchte noch, sie zurückzuhalten, aber da trat sie schon vor, legte beide Hände auf das Geländer und blickte hinab in die Halle.
    Das Haar der ersten Frau war dunkelrot und so voll, dass es kaum gebändigt unter ihrem Hut hervorquoll. Sie trug eine enge Hose und hohe Stiefel, dazu eine Jacke mit schmaler Taille. Sehr modern, eine Dame von Welt.
    Ihre Begleiterin hatte weißblonde Locken. Ihr schwarzer Mantel betonte die Blässe ihrer Haut wie die Glasur einer zerbrechlichen Keramikfigur. Ein breites Pflaster klebte auf ihrer Wange.
    Die Frauen entdeckten Aura. Auch Jakub drehte sich zur Galerie um, als er die Irritation der beiden bemerkte.
    »Sie?«, entfuhr es ihm.
    Aura achtete nicht auf ihn.
    »Sylvette!«, rief sie ihrer Schwester zu. »Was zum Teufel hast du hier zu suchen?«

KAPITEL 45
    »Nestor und Sophia haben sich geliebt, heimlich und über Jahrhunderte hinweg«, erklärte Axelle Octavian, während sie mit dem Schürhaken im Kaminfeuer stocherte. Aura wurde die Wärme im Salon bereits unangenehm. »Für die beiden ist es wohl die einzige und wahre große Liebe gewesen: zwei Unsterbliche, die einander gefunden hatten – ganz gleich, wo und mit wem sonst sie gerade lebten und Kinder in die Welt setzten.«
    Während Aura Axelles Ausführungen folgte, saßen sie und Gillian in schweren Ohrensesseln, mehrere Meter vom Feuer entfernt. Trotz der hohen Stuckdecke hatte sich der Raum mit seinen altmodischen Stofftapeten, weinroten Samtvorhängen und Ölporträts in goldenen Rahmen längst aufgeheizt.
    »Früher oder später haben sich die beiden immer wieder im Geheimen getroffen, irgendwo in Europa«, fuhr Axelle fort. »Ich weiß von gemeinsamen Aufenthalten in Rom und Brügge und den Seebädern an der englischen Südküste, aber ich vermute, es hat noch Dutzende andere Orte gegeben.«
    Sylvette hockte nahe beim Kamin auf einer Ledercouch und hatte die Knie angezogen. Ein paar Minuten zuvor hatte Axelle das Pflaster gewechselt, während Aura besorgt die Naht darunter inspiziert hatte. »War ein Unfall«, hatte Sylvette nur gesagt und abgewinkt.
    Der Zug, mit dem sie und Axelle nach Prag gekommen waren, hatte mehrere Stunden Verspätung gehabt. Als sie schließlich mitten in der Nacht am Bahnhof eingetroffen waren, hatte es weit und breit weder Taxis noch Droschken gegeben. Sie hatten
eine halbe Stunde warten müssen, ehe endlich ein Gefährt aufgetaucht war, das sie zum Palais Octavian brachte.
    Das alles hatten Aura und Gillian in den ersten Minuten erfahren, noch während Axelle sie aus dem Foyer in einen der Salons geführt und Sylvette unaufhörlich geredet hatte. Aura traute ihren Augen und Ohren kaum, denn die selbstbewusste Frau, mit der sie im Schloss Institoris so erbittert gestritten und die ihre Mutter vergiftet hatte, schien in Anwesenheit Axelles wieder zu einem plappernden Mädchen zu werden. Anderswo hätte Aura das Ganze womöglich rührend gefunden; stattdessen wechselte sie besorgte Blicke mit Gillian.
    Dass Sylvette und Axelle Octavian mehr als nur Freundinnen waren, ließ sich unschwer an der Art und Weise erkennen, wie sie einander ansahen und dann und wann berührten. Aura war überrascht, dass ihre Schwester sich in eine Frau verliebt hatte, aber keineswegs befremdet; vor nicht einmal zwei Tagen war sie selbst in Sophias Bett aufgewacht. Allerdings konnte es kaum ein Zufall sein, dass eine Octavian-Tochter ausgerechnet jetzt in Sylvettes Leben aufgetaucht war.
    Als Axelle endlich das Schüreisen beiseitelegte und sich neben Sylvette aufs Sofa setzte, beugte Aura sich in ihrem Sessel vor und nutzte das kurze Schweigen, um nachzuhaken. »Wollen Sie damit sagen, dass mein Vater aus gutem Grund dort oben in Ihrer Ahnengalerie steht?«
    Der Feuerschein flackerte über Axelles Züge. »In jeder Generation meiner Familie gibt es ein Kind, das in Wahrheit von Sophia und Nestor stammt und

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