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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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etwas anderes in ihre Augen trat, wenn sein Name fiel. Eine verstohlene Beunruhigung, eine Sorge, vielleicht eine Furcht, die sie nicht benennen wollte.
    Gillian zog die Hände hinter dem Rücken hervor. In einer trug er zwei umgedrehte Gläser, in der anderen eine Rotweinflasche. Der Wind fuhr in seine lange Jacke und öffnete sie. Für einen Moment durchzuckte Aura die Furcht, die Böe könnte ihn von der Klippe reißen, einfach davontragen aus ihrem Leben, diesmal für immer.
    Mit wenigen Schritten war sie bei ihm. Er hatte die Flasche
bereits entkorkt. Aura füllte die Gläser, nahm ihm eines ab und trat gemeinsam mit ihm zurück an den Abgrund.
    »Wir sollten bald wieder reisen«, sagte er.
    »Sobald Tess alle Angelegenheiten im Schloss allein regeln kann.«
    »Sie hat es schon mehr als einmal angeboten.«
    Aura lächelte. »Sie will uns nur loswerden.«
    »Glaubst du?«
    »Hättest du an ihrer Stelle gerne zwei wie uns um dich?« Der Wind brannte in ihren Augen, als sie amüsiert zu ihm herüberblinzelte. »Wir sind nicht gerade Garanten für gute Laune.«
    »Sie hängt an dir wie an einer zweiten Mutter.«
    »Sie wollte schon die erste nicht öfter sehen als nötig.« Sie seufzte leise. »Manchmal bin ich neidisch darauf, dass sie erwachsen und älter werden kann. Sie lebt ihr Leben und ist zufrieden damit, erst recht, seit Jonathan da ist.«
    Am Horizont war ein einzelnes Schiff erschienen, ein weißer Punkt, der über die Grenze zwischen Wasser und Himmel glitt, hinter dem Leuchtturm verschwand und auf der anderen Seite wieder auftauchte.
    Gillian hatte recht. Es wurde allerhöchste Zeit, dass sie wieder von hier fortgingen, für eine Weile oder länger. Diesmal gemeinsam und in der Gewissheit, dass dieser Ort auf sie warten würde, wann immer sie sich nach seiner Beständigkeit sehnten.
    »Du kennst mein Haus in London noch nicht«, sagte sie. »Wir könnten hinfahren und dort planen, was wir als Nächstes tun.« Da kam ihr ein Gedanke. »Du hast nicht vor, ihn zu suchen, oder?«
    Gillian schüttelte den Kopf und trank einen Schluck. »Irgendwann wird er von ganz allein wieder auftauchen.«
    Und warum fröstelte sie bei diesem Gedanken?
    Gillian legte einen Arm um sie. Aura lehnte ihre Wange an seine Schulter, während sie über die schieferfarbene See blickten.

    »Von England aus möchte ich irgendwohin, wo es warm ist«, sagte sie nach einer Weile. Irgendwohin, dachte sie, wo uns niemand findet, solange wir das nicht wollen. Sie würde nur den Kontakt zu Tess aufrechterhalten. Mehr brauchte sie nicht, nur Gillian an ihrer Seite und diese vage Verbindung zurück hierher.
    Schweigend tranken sie ihre Gläser aus.
    Aura nahm Gillians Hand und führte ihn durch die Efeutür zurück ins Schloss.
     
    Weit entfernt, jenseits der Korridore und Treppenhäuser, klimperte eine Spieluhr, ein kleiner Automat mit tanzenden Paaren, die sich zur Musik im Kreis bewegten. Tess hatte ihn auf dem Dachboden entdeckt, und Jonathan hatte das ratternde Ding ins Herz geschlossen.
    Sapere aude , stand fast verblichen an der Unterseite, in feiner, femininer Handschrift. Wage, weise zu sein.
    Und dahinter, mit verliebter Unbefangenheit:
    Von S. für N.
     
     
    ENDE

NACHWORT DES AUTORS
    Den Zauber des alten Prag spürt man auch heute noch, wenn man auf den steilen Straßen der Kleinseite zum Hradschin hinaufsteigt oder durch die Gassen der Altstadt streift. Alles ist moderner geworden, touristischer, und die fliegenden Händler in den Torbögen der Hinterhöfe, die Galleristen und die Stadtväter haben längst alle Möglichkeiten ausgelotet, die einzigartige Atmosphäre der Stadt zu vermarkten. Aber man muss nicht weit von den belebten Hauptrouten abweichen, manchmal nur an einer Fassade hinaufblicken, um zu erkennen, was zahllose Autoren an Prag fasziniert hat. Ob Meyrink oder Kafka, Ewers oder Leppin, das magische Prag ist seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts unzählige Male heraufbeschworen worden. Nirgendwo sonst in Europa verzahnen sich Geschichte und Architektur so untrennbar mit okkulten und esoterischen Motiven. Ich habe schon früher in Der Schattenesser darüber geschrieben, und es war nur eine Frage der Zeit, ehe es auch Aura Institoris in die Stadt der Alchimisten und Geisterbeschwörer verschlagen würde.
    Die Häuser mit den Vogelreliefs existieren tatsächlich. Als ich die Lage der Gebäude auf einem Stadtplan markierte, stellte sich heraus, dass sich alle auf einer waagerechten Achse befinden, die das

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