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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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zerstört sie ein Leben, als dass sie es freigibt.«
    Aura versuchte verzweifelt, sich an Hinweise zu erinnern, an irgendetwas, das Sophia zu ihr gesagt hatte.
    »Nicht hier im Haus«, wiederholte sie im Flüsterton. Und nicht in Sophias Wohnung, denn dort hätte sie solch ein Wesen sicher bemerkt.
    Sie dachte an Plakate mit Sophia in Ketten, eine spöttische Umkehrung der Wirklichkeit. Zauberei und Entfesslungskunst.
    Das Variete Nadeltanz.

KAPITEL 47
    Aura machte sich gemeinsam mit Gillian auf den Weg durch die nächtliche Stadt, während Axelle mit Sylvette zurückblieb. Falls Sophia im Palais auftauchte, musste jemand sie ablenken.
    Mittlerweile war es weit nach Mitternacht. Nur wenige Menschen bewegten sich noch durch die Gassen der Kleinseite, einsame Schatten an Hauswänden, deren Verursacher kaum im Schein der Straßenlaternen auftauchten. Hier und da spukten Schemen im Halblicht hinter zugezogenen Vorhängen.
    »Du spürst es auch«, stellte Gillian mit einem grimmigen Lächeln fest. »Wir werden beschattet.«
    »Aber ich sehe niemanden.«
    Er deutete nach oben. »Auf den Dächern. Irgendwas bewegt sich parallel zu unserem Weg.«
    »Ich hab eine Idee, wer das sein könnte.«
    »Nicht das Gliederkind, oder?«
    »Galathee hinkt. Sie klettert ganz sicher nicht auf irgendwelche Dächer.«
    Sie hatten den Kleinseitner Ring in östlicher Richtung verlassen. Durch schmale Nebengassen, kaum breit genug für ein Fuhrwerk, war es nicht weit bis zum Variete. Die Schatten dieser Häuserklüfte waren so finster, dass die vereinzelten Lichtinseln umso heller erschienen.
    In einer davon bewegte sich plötzlich etwas, keine zwanzig Meter vor ihnen. Die Kreatur hatte sich lautlos an einer Regenrinne herabgelassen und war mit einem Sprung inmitten der Helligkeit gelandet.
    »Ein Affe?« Seine Abneigung stand Gillian ins Gesicht geschrieben.
Aura war nicht sicher, ob er sich an Tollerans Biest erinnern konnte.
    »Keine Sorge. Ich weiß, zu wem er gehört.«
    Das Tier trug noch dieselbe Uniform aus dunklem Stoff, mit glänzenden Applikationen und einem winzigen Orden auf der Brust, dazu eine Kappe wie ein Hotelpage. Aura hatte keine Ahnung, um was für eine Affenart es sich handelte. Ein wenig erinnerte er sie an einen Nackthund mit überlangen Vorderbeinen.
    Er blieb sitzen, bis sie auf wenige Schritte heran waren, dann winkte er ihnen zu und lief vorneweg.
    »Wir sollen ihm folgen.«
    Gillian machte keinen Hehl aus seinem Missmut. »Diesem Vieh?«
    »Wenn mich nicht alles täuscht, wird er uns zu Anatol Dolchow führen. Dem Baumeister des Palais Octavian.«
    »Der kein Freund von Sophia ist, hoffe ich.«
    »Nicht, wenn Severin die Wahrheit gesagt hat.« Falls ihnen der Architekt – der einäugige Leierkastenmann – etwas mitzuteilen hatte, mochte es sich lohnen, ihn anzuhören.
    Der Affe blieb wieder stehen, schnatterte und gestikulierte wild.
    »Gott, ich hasse Affen«, sagte Gillian.
    Wenig später verließen sie die Seitengasse und traten auf eine sanft ansteigende Straße, die vor ihnen in die kopfsteingepflasterte Karlsbrücke überging.
    Nebel hing über dem Fluss, eine milchige Wand, durch die der gegenüberliegende Brückenturm nicht zu erkennen war. Niemand sonst war um diese Zeit unterwegs, und als auch die Kleinseite hinter ihnen in den Schwaden zurückblieb, verspürte Aura ein unwirkliches Gefühl der Isolation. Vor ihnen waren zehn Meter Kopfsteinpflaster zu sehen, ebenso hinter ihnen. Rechts und links schälten sich die ersten Steinfiguren auf der
gemauerten Brüstung aus dem Dunst, zogen an ihnen vorüber und verschwanden wieder.
    Der Affe tänzelte vor ihnen her, machte mit einem Mal einen Satz auf die hüfthohe Mauer und sprang von dort aus auf eine Gestalt, die bislang vor der Silhouette einer Statue fast unsichtbar gewesen war.
    »Herr Dolchow?«, erkundigte sich Aura.
    Neben ihr spannte sich Gillian.
    »Frau Institoris.« Der Einäugige nickte ihr zu. »Und Ihr ... Begleiter.«
    Der Affe saß jetzt reglos auf der linken Schulter des Mannes. Anatol Dolchow hatte langes graues Haar, das ihm als ungepflegter Pferdeschwanz über den Rücken fiel. Er trug einen purpurroten Gehrock, so zerschlissen, als hätte er ihn seit einem Jahrhundert nicht abgelegt. Eine graue Binde bedeckte sein rechtes Auge und einen Teil der Stirn wie ein verirrter Nebelschwaden.
    »Was wollen Sie?«, fragte Gillian.
    »Ich bin davon ausgegangen, dass Sie etwas von mir wollen«, erwiderte der Russe. »Sonst wären Sie nicht

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