Die Alchimistin 03 - Die Gebannte
ihr.«
»Doch«, widersprach Axelle, »ich glaube, du weißt sogar eine ganze Menge mehr. Kennst du das Geheimnis ihrer Jugend?«
Estella hob die Schultern. »Sie ist eine Unsterbliche.«
»Aber sie war schon einmal älter, körperlich älter, vor langer Zeit – und ist wieder jung geworden. Wie hat sie das fertiggebracht?«
Estella legte den Kopf zurück gegen die Sessellehne. Ihr hageres Gesicht wirkte wie aus grauem Holz geschnitzt. »Zuzana«, flüsterte sie.
Aura und Axelle wechselten einen Blick.
»Sophia hat Adam gezwungen, Zuzana einen neuen Kopf zu machen«, sagte Estella. »Damit sie aufhört zu reden.«
»Zuzanas Wachsfigur ?«, fragte Aura.
Estella nickte. »Mein Vater hat viele der neueren Wachsfiguren geschaffen, ehe er die Geheimnisse seiner Kunst an Adam weitergegeben hat. Es hat nie einen besseren Wachsfigurenmacher gegeben als ihn. Diese Familie hat ihn mit viel Geld nach Prag gelockt, und mich hat er damals als kleines Kind mitgebracht. Sophia ist er vom ersten Tag an verfallen, wie so viele vor und nach ihm, und so hat er den Rest seines Lebens in ihren Diensten auf dem Dachboden verbracht. Aber dann, als er älter wurde und nachdem Ludovico bereits um meine Hand angehalten hatte, wurde er ... Er wurde wunderlich. Verrückt, vielleicht.« Sie verfiel in gedankenverlorenes Schweigen, und so sagte Axelle statt ihrer zu Aura:
»Er hat behauptet, Zuzanas Stimme zu hören. Dass sie aus ihrer Figur zu ihm spräche, wirres Zeug, hieß es immer, das keinen Sinn ergab.« Sie zögerte kurz, dann fügte sie hinzu: »Jedenfalls ergab es damals keinen.«
Tränen blitzten in Estellas Augen, aber sie wischte sie ungehalten mit dem Handrücken fort. »Er hat mir oft davon erzählt, vor allem als es mit ihm zu Ende ging. Falls irgendwas davon wahr ist ... dann ist Zuzana der Schlüssel zu allem.«
Aura schüttelte verständnislos den Kopf. »Aber Zuzana ist seit einer Ewigkeit tot. Wie sollte sie —«
Axelle unterbrach sie: »Warum könnt ihr Alchimisten nicht einsehen, dass Hermetik und Nekromantie kein Widerspruch sein müssen? Sophia muss das schon vor langer Zeit erkannt haben. Aber in dieser Stadt tobt im Verborgenen ein Krieg zwischen Alchimisten und Okkultisten, zwischen Wissenschaft und Magie, zwischen eurer verqueren Logik und dem Übersinnlichen.« Sie trat einen Schritt zurück und fixierte Aura mit
festem Blick. »Du bist der lebende Beweis dafür, dass die Unsterblichkeit existiert, dass es möglich ist, die Jahrhunderte zu überdauern – und trotzdem weigerst du dich, zu glauben, dass es Seelen gibt, die einfach nicht gehen können?«
Aura dachte an den Widerspruch der beiden anagrammatischen Quadrate in der Bibliothek ihres Vaters, an die geheimen Studien des Okkulten während seiner letzten Lebensjahre, daran, dass er versucht haben musste, einen Sinn hinter den Überschneidungen beider Lehren zu erkennen. Vielleicht war er in seiner Akzeptanz der Dinge viel weiter gewesen als sie.
Sie wollte das alles nicht ausgerechnet jetzt und hier diskutieren. Aber sie fragte sich auch, was Axelle auf ihren Reisen noch herausgefunden haben mochte, dass sie die Stimme einer Toten aus deren Wachsfigur so widerspruchslos als Tatsache hinnahm.
»Zuzana hat also zu Ihrem Vater gesprochen«, lenkte sie mit Blick auf Estella ein. »Was genau hat sie ihm erzählt?«
Axelle ergriff sanft die Hand ihrer Stiefmutter. »Das wüsste ich auch gern.«
Estellas Augen wurden schmal. »Sophia hat Zuzana getötet. Sie hat sie hereingelegt und anschließend umgebracht. Und dass Zuzana ihre eigene Tochter war, hat für sie dabei überhaupt keine Rolle gespielt.« Estella neigte den Kopf ein wenig und sah Axelle in die Augen. »Zuzana war wie du, mein Kind. Das Reisen, die Rastlosigkeit, das alles steckt auch in dir.«
»Aber Zuzana hatte noch andere ... Fähigkeiten, nicht wahr?«
»Sie ist auf Dinge gestoßen, die ihr Macht verliehen haben. Alte Lehren, Zauberkram, Gott weiß was ... Sie muss früh erkannt haben, dass dies ihre Möglichkeit war, sich aus Sophias Bann zu lösen. Aber schließlich entdeckte sie noch etwas anderes, irgendwo im Mittelmeer – auf einer Insel, hat mein Vater gesagt. Ich weiß nicht, ob er mehr als das wusste, aber ich glaube es nicht. Er hat sich vieles selbst zusammenreimen müssen,
weil Zuzana nur in Bruchstücken zu ihm gesprochen hat, so als hätte sie Mühe, sich überhaupt verständlich zu machen.«
»Dann hat Zuzana dort etwas entdeckt, das einen Menschen wieder
Weitere Kostenlose Bücher