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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Lysander sie töten lassen,
vielleicht auch nicht – ganz sicher aber hätte sie keine Gelegenheit mehr bekommen, ihm die Ampulle abzunehmen. Doch solange sie frei war, war Gian noch nicht verloren.
    Geduckt lief sie nach links auf Severins Leiche zu. Bavor musste sich durch die offene Tür zurückgezogen haben, andere Verstecke gab es nicht. Soweit sie sehen konnte, waren alle weiteren Eingänge geschlossen. Mehrere Einschusslöcher klafften inmitten verästelter Risse in den Schaufenstern.
    »Bavor!«, rief sie, als sie sich der Tür näherte. »Schießen Sie nicht! Ich will Ihnen einen Vorschlag machen!«
    Wahrscheinlich war er nicht dumm genug, um darauf hereinzufallen. Aber vielleicht hielt es ihn zumindest davon ab, sie durch die Fenster zu erschießen, sobald er sie auftauchen sah.
    Im Näherkommen streifte ihr Blick Severins Leichnam. Bavors Kugel hatte seinen Hals aufgerissen. Sein Oberkörper war voller Blut, auf den Fliesen hatte sich eine Pfütze gebildet. Galathées Füße hatten darin Sohlenabdrücke und eine Schleifspur hinterlassen.
    Drüben, jenseits des Abgrunds, sah sie Lysander stehen, beide Hände auf dem Geländer, während er mit ernster Miene ihre Flucht beobachtete. Er regte sich nicht. Und dennoch schien sich sein Spiegelbild zu bewegen, unmittelbar hinter ihm in den hohen Schaufenstern.
    Auras Mund klappte auf, als sie die Wahrheit erkannte. Es war nicht sein Spiegelbild. Da war noch jemand, auf der anderen Seite der Scheibe.
    Im nächsten Augenblick eröffnete der Schütze wieder das Feuer. Er hatte das Ende der Brücke erreicht und bog auf die linke Galerie. Zwischen ihm und Aura war nichts mehr, hinter dem sie hätte Deckung suchen können.
    Hitze jagte durch ihre Schulter, als eine Kugel sie haarscharf streifte. Ihr blieb nur noch eines zu tun – sie warf sich durch die offene Tür in den Raum dahinter, in dem Wissen, dass sich
irgendwo dort drinnen Bavor aufhielt, der sie heute schon mehrfach hatte töten wollen. Möglicherweise geriet sie gerade ins Kreuzfeuer beider Gegner.
    Aber Bavor schoss nicht.
    Er lag auf dem Bauch, lang am Boden ausgestreckt. Die Verletzungen an seinem Hinterkopf sahen nicht aus, als stammten sie von einer Pistolenkugel. Eher, als hätte ihm jemand den Schädel eingeschlagen. Mit dem blutigen Bein, das neben ihm lag.
    »Runter«, sagte leise eine Stimme, vertrauter als ihre eigene. »Schnell!«
    Aura ließ sich fallen, sah Dutzende Silhouetten im Dunkel, dann – im Schein mehrerer Mündungsblitze – ihre starren Wachsgesichter. Nur einer der Umrisse bewegte sich, saß inmitten der anderen, die Arme ausgestreckt, und hielt mit beiden Händen eine Waffe. Kugel um Kugel schlug von innen durch die Fensterscheiben, stanzte eine Spur von Sternen ins Glas, alle auf gleicher Höhe.
    Der Mann auf der anderen Seite der verstaubten Fenster hatte nicht wissen können, dass der Raum dahinter riesig war. Er musste geglaubt haben, dass er unsichtbar blieb, bis er die Scheibe neben der Tür erreichte. Wie hätte er ahnen können, dass er nicht an mehreren kleinen Räumen, sondern an einer langgestreckten Halle vorüberlief? Sein Schattenriss sprang von einer blinden Scheibe zur nächsten, bis die Schüsse ihn schließlich zu Fall brachten.
    Gillian ließ die Waffe sinken. Er sah entsetzlich aus, völlig erschöpft, das Gesicht in Dunkelrot getaucht. Kabel waren um seine Beine geschlungen, ein paar weitere lagen lose am Boden.
    Aura kroch zu ihm und umarmte ihn, hielt ihn ganz fest, küsste ihn und streichelte sein verklebtes Haar, und sie ließ ihn auch dann noch nicht los, als Lysander draußen zu schreien begann.

KAPITEL 56
    Aura stützte Gillian, so gut sie konnte, während sie über die Galerie zum Geländer stolperten. Dort hielt er sich am Handlauf fest, und obwohl sie nicht halb so zerschunden war wie er, klammerte auch sie sich an die Brüstung, bis es sich anfühlte, als müsste die Haut über ihren Fingerknöcheln reißen.
    Auf der gegenüberliegenden Seite des Abgrunds war Sophia ganz in ihrem Element.
    Der Tanz der Unsterblichen war der Tanz einer blutroten Furie. Mit leichtfüßiger Grazie sprang sie in einem Halbkreis um Lysander, drehte und duckte und streckte sich, und immer wieder stieß ihre Hand vor und fügte ihm mit einer kurzen Klinge Schnitte zu. Dennoch stand er aufrecht, so als weigerte er sich, dem Schmerz und dem Blutverlust nachzugeben. Sophia kannte die Stellen am Körper eines Menschen, die geöffnet werden mussten, um ihn ausbluten zu

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