Die Alchimistin 03 - Die Gebannte
nahm immer zwei Stufen auf einmal, erreichte den ersten Stock und sah wieder hinauf zu Bavor, eine Etage über ihr.
Der erwiderte ihren Blick von der Brücke aus. Trotz der Entfernung war sie sicher, dass er grinste.
»Tu das nicht!«, schrie sie.
Bavor zog dreimal den Abzug durch.
KAPITEL 55
Aura erreichte das oberste Stockwerk und rannte entlang der rechten Galerie zur Einmündung der Brücke.
Bavor stand noch immer über dem Körper, zielte nun aber auf Aura, während sie näher kam und nur Augen für die Gestalt in Schwarz zu seinen Füßen hatte.
Die Einschläge hatten den halben Schädel fortgesprengt. Nirgends war Blut zu sehen, stattdessen hatten sich Keramiksplitter und Zahnräder über die Brücke verteilt.
»Nur eine Puppe«, sagte Bavor. »Um uns abzulenken.«
Von unten brüllte Lysander. »Hol das Kind, verflucht noch mal!« Gestützt auf den Schützen kam er die unterste Treppe herauf.
Der zweite Mann war Aura gefolgt und näherte sich ihr über die Brücke. Sie hob die Hände. Im Moment war ihr gleichgültig, was mit ihr geschah. Die Erleichterung darüber, dass die Gestalt am Boden nicht Gillian war, übertraf alle Sorge um ihr eigenes Wohlergehen. Severin musste den Automaten als Ablenkung auf dem Übergang platziert haben.
Bavor stürmte los, um Galathee einzufangen. Sie stand mittlerweile neben dem leblosen Severin auf der linken Seitengalerie der Passage, etwa zwanzig Meter von der Brückenmündung entfernt. Auf dem Weg dorthin war sie an mehreren Glastüren vorbeigekommen, Eingängen leerer Geschäfte. Nur eine stand offen, unmittelbar hinter ihr und Severin.
Aura wurde von ihrem Bewacher in Schach gehalten. Ihr Blick folgte Bavor, aber in Gedanken war sie bei Gillian. Wie war Severin auf ihn gekommen? Sie mussten einander begegnet
sein. Hatte Severin ihn tatsächlich überwältigt und gefesselt?
Wieder sah sie zu der offenen Tür hinter Galathee hinüber. Das Ladenlokal lag im Halbdunkel, durch die blinden Scheiben drang kaum Licht.
Lysander und sein Begleiter hatten den ersten Stock passiert und waren auf dem Weg hinauf in den zweiten. Das rasselnde Atmen des alten Mannes drang über den Abgrund hinweg.
»Nicht bewegen«, warnte Auras Bewacher sie.
»Bavor«, rief Lysander von unten, »hast du die Kleine?«
»Bin gleich bei ihr!«
»Lass sie ja nicht entkommen!«
Bavor grinste im Laufen. »Sie hinkt .« Nur noch wenige Meter, dann würde er bei ihr sein. Er wurde langsamer, als sie sich nicht von der Stelle rührte und mit vorgebeugtem Kopf auf ihren leblosen Schöpfer hinabblickte. Blut lief unter dem Geländer hindurch und troff über die Kante der Galerie.
Auras Blicke huschten von Galathee zu Bavor und wieder zu der offenen Tür im Hintergrund. Nichts regte sich dort, das senffarbene Zwielicht der Passage verlor sich in Düsternis.
Lysander war auf halber Höhe der Eisentreppe zwischen den Stockwerken stehen geblieben und stützte sich atemlos auf das Geländer. Der Schütze redete leise auf ihn ein und wollte nach seinem Arm greifen, aber der Alte stieß ihn wütend beiseite und setzte den Weg aus eigener Kraft fort.
Bavor erreichte Galathee. Streckte die Hände nach ihr aus, um sie an den Schultern zu packen.
Auf der Treppe drehte Lysander langsam den Kopf und blickte über die Leere hinweg zu den beiden oben auf der Galerie. Seine Miene verriet keinen Triumph. Es fiel ihm sichtlich schwer zu glauben, dass diese humpelnde Aufziehpuppe der Schlüssel zur ewigen Jugend sein sollte.
»Ich ... ich ...«, zischte Galathee leise.
Bavor lachte und ergriff sie. Hob sie vom Boden und drehte sich einmal mit ihr im Kreis. Ihr Haar wehte auseinander und entblößte die leere Augenpartie.
»Sie ist es wirklich«, flüsterte Aura.
»Bring sie zu mir!«, keifte Lysander.
Bavor trat mit ihr an die Brüstung, stellte Galathees Füße aufs Geländer und hielt sie von hinten an den Oberarmen fest. Die angenähte Puppe pendelte über dem Abgrund. Er rief etwas auf Tschechisch. Aura konnte nur raten, dass es etwas Abfälliges war. Ihm war deutlich anzusehen, dass er die Geschichte von der gefangenen Abendlichen nicht einen Moment lang ernst genommen hatte.
Auch Lysander brüllte etwas, sichtlich aufgebracht, und neben Aura versteifte sich ihr Bewacher und machte einen halben Schritt näher ans Geländer heran, um seinen Anführer besser sehen zu können.
Bavor und Lysander lieferten sich ein Wortgefecht quer durch die Passage, während der Wieselmann einen von Galathees Armen
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