Die Alchimistin 03 - Die Gebannte
Gefangenen.
»Wer hat mich hergebracht?«, fragte Gillian stockend. Er gab sich keine Mühe, seiner Stimme einen festeren Klang zu verleihen. Sollte er ihn nur für schwach und gebrochen halten.
Der Andere lachte leise, aber es wirkte nervös, so als wäre er sich nicht sicher bei dem, was er tat. »Du verweigerst mir Antworten und erwartest, dass ich dir welche gebe?«
»Ich bin ... ein Hermaphrodit.« Er versuchte, es wie ein Zugeständnis klingen zu lassen.
Die Finger kehrten zurück, betasteten seine Brustwarzen. Ein feines Zittern ließ die fremden Hände vibrieren. »Du bist ein außerordentliches Geschöpf. Ganz außerordentlich.«
Es war bei Weitem nicht das erste Mal, dass er diese Wirkung auf Männer hatte; nur war es zuvor nie unbeabsichtigt geschehen. Aber vielleicht wäre er längst tot, wenn ihm sein Peiniger nicht derart verfallen wäre. Gillians Ausstrahlung hatte den Mann dazu gebracht, die Distanz zwischen ihnen aufzugeben.
»Was genau siehst du?«, fragte Gillian.
Ein gequälter Unterton schlich sich in die Stimme des Alten. »Ich verstehe nicht, was ich sehe.«
»Du musst dich dafür nicht schämen.«
»Du bist ein Teufel. Ein Dämon, der gesandt wurde, um mich in Versuchung zu führen.« Die Hände wichen zurück. »Nenn mir deinen Namen.«
»Gillian.«
»Dann hat man mir die Wahrheit gesagt.«
»Wo bin ich hier?«
Der Mann klang, als lächelte er. »Wo niemand dich jemals finden wird. Bei mir bist du in Sicherheit.«
»Dann wirst du mich nicht töten?«
»Warum sollte ich das tun?«
»Vielleicht, weil man es dir aufgetragen hat. Diejenigen, die mich hergebracht haben.«
»Nein«, sagte der Alte und schien einen Moment lang nachzudenken. »Davon war nie die Rede.«
»Du sollst mich nur festhalten?«
Schweigen. Gillian glaubte schon, der Andere hätte sich zurückgezogen, aber dann hörte er ihn mit den Füßen scharren. Auf Steinboden.
»Ich behalte dich bei mir«, sagte der Mann. »Wir werden viel Zeit haben, deine Geheimnisse zu erforschen. Deinen Verstand. Und was genau du mit meinem anstellst.«
Gillians Kehle brannte, seine Stimmbänder lehnten sich gegen das Sprechen auf. »Bist du Arzt?«
»Ich habe schon früher Zwitter gesehen, Kuriositäten, Jahrmarktsgespött. Aber noch niemanden wie dich.«
»Was genau willst du von mir?«
»Alles, was ich will, habe ich bereits. Dich.« Und zögernd fügte er hinzu: »Du bist mir ganz und gar ausgeliefert.«
Gillian schwieg.
»Ich werde deinen Geist schälen wie eine Zwiebel«, fuhr der Alte fort, »Schicht um Schicht. Jede Faser will ich kennenlernen, ich will alles von dir wissen. Wir werden sehen, wozu du imstande bist. Wir haben alle Zeit der Welt.«
Das ging weit über jene Faszination hinaus, die Gillian früher hatte wecken können. Er war jetzt sicher, dass er es mit einem Mediziner zu tun hatte, auf jeden Fall mit einem Wissenschaftler. Andere Menschen rupften einem hübschen Vogel nicht das Gefieder aus, um zu sehen, ob er darunter noch hübscher war.
Wem hatte er das zu verdanken? Verschwommen sah er Bilder seines letzten Aufenthaltsortes vor sich. Bröckelnde Paläste und Wasserstraßen. Taubenschwärme und schwarze Gondeln.
Venedig.
Dorthin war er gegangen, nachdem er dem Templum Novum den Rücken gekehrt hatte. Die Sierra de la Virgen mit der trutzigen Festung am See. Die Melancholie der Göttin Innana. Und Karisma. All das hatte er zurückgelassen und sich in Venedig einquartiert, im verlassenen Palazzo Lascari.
Wie lange war er dort gewesen? Einige Wochen? Monate? Jahre? Seine Erinnerung zerfaserte zu wabernden Stillleben der Kanäle und Gassen, begleitet vom Schimmelgeruch des leeren Palazzo. Er war allein dort gewesen, immer allein. Er hatte wieder Aufträge angenommen wie einst in Wien, hatte das getan, was er am besten konnte. Aber er sah keine Gesichter vor sich, keine Details. Venedig verwischte zu Schemen, nichts besaß feste Form, alles flirrte in seinem Geist wie Luftspiegelungen über heißem Sand.
»Du hast mächtige Feinde«, sagte der alte Mann. »Darum sei froh, dass du bei mir bist. Mein schönes, faszinierendes Spielzeug.« Erneut berührten die knochigen Hände Gillians Wangen, strichen unterhalb der Halbmaske aus Leder daran entlang. »Wir werden viel Zeit miteinander verbringen. Vielleicht wirst du nicht immer wissen, dass ich bei dir bin. Aber ich werde in deiner Nähe sein, Tag und Nacht, wann immer ich mich von meinen lästigen Pflichten lösen kann.«
Gillian konnte den Kopf
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