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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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meine –«
    Sylvette lächelte. »Gift. Euer Dachboden ist voll davon – und von Anleitungen, wie man es zu benutzen hat. Sie muss im letzten Moment etwas gemerkt haben, aber ich glaube, gelitten hat sie nicht.«
    »Gott, Sylvette.«
    »Sie hatte Schmerzen verdient. Wirklich, das hatte sie. Alle
haben sie gehasst. Die Hausmädchen, die Diener, sogar die verdammten Möwen sind gegen ihr Fenster geflogen und haben sich das Genick gebrochen. Und sie wollte nicht mehr leben. Sie hat mich hundertmal angefleht, es zu Ende zu bringen.«
    Aura sagte nichts.
    »Du verurteilst mich«, stellte Sylvette mit gerunzelter Stirn fest.
    »Nein. Überhaupt nicht.«
    »Ich kann’s dir nicht mal verübeln. Immerhin hab ich ...« Es schien sie zu erleichtern, die Worte endlich auszusprechen, und dabei sah sie ein wenig erstaunt aus über sich selbst: »Liebe Güte, ich habe sie tatsächlich umgebracht.«
    Aura ging auf sie zu und nahm sie nach kurzem Zögern in die Arme. »Ich werd den Teufel tun, dich für irgendwas zu verurteilen. Wenn jemand Verständnis dafür haben muss, dann ich.«
    Sylvettes Gesicht lag an ihrer Schulter, aber sie erwiderte die Umarmung nicht, lehnte nur an ihr wie eine Puppe. »Ich hab immer gedacht, man tötet einen anderen Menschen aus einer Schwäche heraus. Aber so war es nicht. Ich hab mich nie im Leben so stark gefühlt. Plötzlich konnte sie niemandem mehr mit ihren Worten wehtun.« Sie schnaubte leise. »Das hab ich von ihr, glaube ich. Gemeine Dinge zu sagen.«
    »Ich hab dich mit ihr allein gelassen. Du hast jedes Recht, mir Vorwürfe zu machen.«
    Sylvette blickte zu ihr auf. »Ich bin verliebt, Aura. Und sie hat versucht, das zu zerstören. Sie konnte nicht ertragen, dass ich glücklicher war als sie. Eine Zeit lang dachte ich, ich könne sie anderswo unterbringen, in einem Haus für Menschen wie sie, weit weg von hier. Ich war ein paar Mal in Berlin deswegen. Aber sie wollte nichts davon hören, hat behauptet, ich wolle sie in ein Irrenhaus stecken. Ich wäre ein schlechter Mensch, hat sie gesagt.«

    »An dir ist nichts Schlechtes, Sylvette. Ganz und gar nicht.«
    Ihre Schwester löste den Kopf von Auras Schulter und zog sich ein Stück von ihr zurück. »Ich war neidisch auf dich. Als ich oben auf dem Dachboden war, um nachzulesen über das ... Mittel für sie ... Da hab ich mich umgeschaut, meine Nase in all diese Dinge gesteckt, die mich früher nie interessiert haben, und ich war plötzlich so wütend vor Neid.«
    »Glaub mir, so toll ist es nicht.«
    »Machst du dich über mich lustig?«
    »Nein.«
    »Wie kann es etwas anderes als wundervoll sein, nicht älter zu werden, niemals zu sterben, das Leben in vollen Zügen zu genießen und das für immer und ewig?« Sie waren beide nicht in der Verfassung für eine solche Diskussion, aber Sylvette neigte den Kopf und sah sie vielsagend an. »Wie kann es nicht großartig sein, die Möglichkeit zu haben, die Dinge wieder und wieder auszuprobieren, bis sie genau so sind, wie man sie sich vorgestellt hat?«
    »Ewig zu leben bedeutet auch, ewig mit der eigenen Schuld zu leben«, entgegnete Aura. »Mit der Gewissheit von Niederlagen, die man nicht mehr rückgängig machen kann. Mit Dingen, die man getan hat und auf die man nicht stolz ist.«
    »Wie die eigene Mutter zu ermorden?«
    »Das hab ich nicht gesagt.«
    »Aber gemeint hast du’s.«
    »Ich meinte, den Mann, den man liebt, vor den Kopf zu stoßen und zu verlieren, einzig aus Dummheit und Selbstsucht. Oder den eigenen Sohn zu vergraulen, bis es ihm gleichgültig ist, ob man lebt oder stirbt. Du hast Recht mit dem, was du heute gesagt hast. Ich habe Gillian verloren und ich habe Gian verloren, damit muss ich leben. Vielleicht sehr, sehr lange leben.«
    »Ich mache mir wegen Mutter keine Vorwürfe, falls du darauf hinauswillst.« Hatte Sylvette ihr überhaupt zugehört?

    Unvermutet steuerte das Gespräch in eine Richtung, die Aura immer weniger gefiel. »Ich hab dir keine Vorwürfe gemacht und ich werde auch jetzt nicht damit anfangen. Ich kann dich verstehen. Und ich hoffe wirklich, dass du nun glücklich wirst.«
    Ihre Schwester schüttelte langsam den Kopf, ohne Aura aus den Augen zu lassen. Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, als von der Falltür im Zentrum der Gruft ein Scharren erklang.
    Dort stand Tess auf einer der oberen Stufen, in einer Hand einen dreiarmigen Kerzenleuchter. Der Schein waberte über ihre Züge, aber ihre Augen schienen im Schatten zu liegen, so tief und

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