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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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verging, dann eine ganze. Der Besitzer einer Sodawasserbude auf der anderen Straßenseite warf ihr neugierige Blicke zu, und mehrfach musste sie beflissene Taxifahrer abwehren, die sich erboten, sie in die nahen Pensionen vertrauenswürdiger Schwäger, verlässlicher Freunde und anderer Anverwandter und Bekannter zu verfrachten.
    Nach zwei Stunden erwog sie, diesen Teil ihres Plans aufzugeben und sich auf schnellstem Weg zum Hotel Karmelitská zu begeben. Es war später Nachmittag, der Himmel verfinsterte sich, und sie war drauf und dran sich einzugestehen, dass sie entweder einem Schwindel aufgesessen war – denn daran war die alchimistische Literatur nicht arm –, oder schlichtweg einige Jahrzehnte zu spät gekommen war.
    Sie stand auf und streckte sich, verfluchte den schmerzhaften Abdruck des Koffergriffs und wollte gerade Ausschau nach einem Fahrer halten, als eine Kutsche vom Boulevard Am Graben
in die Zeltnergasse einbog und neben Aura und dem Pelikanbordstein zum Stehen kam.
    Es war ein geschlossener Wagen mit Vorhängen an den Türfenstern, gezogen von zwei klapprigen Pferden, eines weiß, das andere schwarz. Beide hatten ihre besten Tage hinter sich, aber sie waren gepflegt und der Kutscher schien sie allein durch Zuruf zu lenken.
    Aura trat einen Schritt zurück, um den Mann genauer in Augenschein zu nehmen. Er war hochgewachsen und schwer, mit grauem Vollbart und zerfurchtem Gesicht. Seine Nase war so groß wie Auras Faust und beinahe violett. Auf seinem Kopf saß eine Mütze wie die eines Schaffners, während seine geflickte Uniformjacke an die Kluft eines napoleonischen Offiziers erinnerte. Sein gewaltiger Bauch reichte im Sitzen fast bis zu den Knien. Ausgeblichene Goldknöpfe hielten sein straff gespanntes Hemd zusammen, doch sahen sie aus, als müssten sie diesen Kampf bei der erstbesten Erschütterung verlieren.
    Er roch nicht gut, aber das war keine Überraschung.
    »Sind Sie frei?«, fragte Aura.
    »Gleich.«
    Er sprach Deutsch, wie nicht wenige hier in Prag. Noch vor hundert Jahren war der überwiegende Teil der Stadtbevölkerung österreichischer Abstammung gewesen und das Deutsche offizielle Amtssprache. Seit Ende des letzten Jahrhunderts hatte sich dies geändert, und obgleich die Straßenschilder zweisprachig geblieben waren, hatte sich das Tschechische längst durchgesetzt.
    Durch ein offenes Fenster hinter seinem Rücken nahm der Kutscher eine Handvoll Münzen aus dem Inneren des Wagens entgegen. Dann wurde die Tür zum Bordstein mit quietschenden Angeln geöffnet und heraus stieg ein feiner Herr mit Zylinder, Gehrock und Monokel, deutete eine Verbeugung vor Aura an und schritt distinguiert davon. Er sah nicht aus wie jemand, der freiwillig ein so abgerissenes Gefährt benutzte.

    Aura blickte ihm kurz hinterher, dann wandte sie sich wieder dem alten Mann auf dem Kutschbock zu. »Sind Sie Balthasar?«
    »Wer möchte das wissen?«
    »Mein Name ist Aura Institoris. Ich bin —«
    »Zum ersten Mal in Prag«, fiel er ihr ins Wort.
    Sie nickte.
    »Wer hat mich empfohlen?«
    »Ich habe Ihren Namen in einem Buch gefunden.«
    Er brummte etwas, das nicht geschmeichelt klang; es war entweder Tschechisch oder ein Fluch, den Aura noch nicht kannte. »Hmm«, machte er schließlich und dehnte den Laut, bis sich selbst Auras Kehle trocken anfühlte. »Und Sie wünschen?«
    Sie deutete auf ihren Koffer. »Wonach sieht es aus?«
    »Ich kann Sie nicht überreden, eines dieser neumodischen Automobile zu nehmen?«
    Diesmal versuchte sie es mit einem Lächeln. »Ich möchte auf der Route der Vögel fahren. Und zwar die gesamte Strecke.«
    »Die ganze Route?«
    »Wenn Sie mich mitnehmen.«
    Der Schimmel stieß ein heftiges Wiehern aus. »Rein mit Ihnen«, sagte Balthasar und winkte in Richtung der offenen Tür, ohne Anstalten zu machen, ihr mit dem Koffer behilflich zu sein. »Wird aber eine Weile dauern.«
    »Soll mir recht sein.« Sie wuchtete ihr Gepäck ins Innere des Wagens und kletterte hinterher. Balthasars Geruch hatte sich in den zerschlissenen Polstern und Vorhängen festgesetzt. Hätte sie ihre Nase unter seine Achsel geschoben, die Erfahrung hätte kaum denkwürdiger sein können.
    »Setzen Sie sich mit dem Rücken zum Fenster.« Er meinte die breite Öffnung zum Kutschbock, behielt aber für sich, ob er ihr das wegen der Frischluft riet. Aura war es einerlei – kaum
hatte sich das Gefährt in Bewegung gesetzt, zog sie sich flink durch das Loch ins Freie und nahm neben ihm auf dem Bock

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