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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Platz.
    »Heh!«, beschwerte er sich.
    »Da drinnen kann ich nichts von der Stadt sehen«, sagte sie.
    »Ich bin kein Fremdenführer.«
    »Ich weiß genau, was Sie sind, Balthasar. Und ich glaube, Sie wissen auch, was ich bin.«
    Er rief seinen Pferden zu, sie sollten die Augen offen halten wegen »dieser stinkenden, lärmenden Teufelskarren«, dann erst antwortete er ruhiger: »Die Tochter vom alten Nestor. Ist ein paar Mal hier gewesen, dein Vater.« Jetzt duzte er sie, aber Aura blieb förmlich, weil sie hoffte, dass ihm das gefiel.
    »Sie kannten ihn also.«
    »Nicht gut. Hab ihn ab und an gefahren, aber das ist eine Weile her. Achtzig, neunzig Jahre oder länger. Man hörte so einiges über ihn, wenn einer der anderen nicht den Mund halten konnte. Gab eine Menge Gerüchte und nicht gerade wenige Leute, die ihn nicht ausstehen konnten.«
    Warum nur wunderte sie das nicht? »In dem Buch stand, die Route der Vögel sei eine Art Initiation in die Geheimnisse der Stadt.«
    »Ihr Alchimisten!«, ächzte er leise. »Immer muss alles so weihevoll und zeremoniell daherkommen. Eine Initiation ... Es ist eine Kutschfahrt , das ist sie, die Route. Sie führt von Osten nach Westen quer durch Prag. Ein paar Mal schneiden wir dabei die Arme des Sonnwendkreuzes, nach dem die wichtigsten Bauten der Stadt ausgerichtet wurden. Und wir passieren die großen Häuser der Vögel.« Er sah mit Schalk im Blick zu ihr herüber. »Danach kennst du Prag – und Prag kennt dich.«
    Die Kutsche rollte klappernd und knarrend die Zeltnergasse hinunter. Sie waren erst wenige Minuten unterwegs, als Balthasar auf eine Fassade zeigte, unscheinbar und nicht so alt wie die
benachbarten Gebäude. Über dem Eingang war ein steinernes Relief angebracht, ein filigraner Vogel mit langem Schwanzfächer, eingerahmt von verschlungenem Schmuckwerk. Aura musste an die Vogelgerippe in Innanas Turmkammer denken.
    »Das Haus des Weißen Pfaus U bílého páva «, sagte der Kutscher. »Ein Pfauenschwanz symbolisiert die Regenbogenfarben, in denen sich der Stein der Weisen während der finalen Destillation manifestiert.« Aura nickte und dachte, dass Balthasar zwar gerne sprach, seine Erklärung jedoch auswendig gelernt klang und keineswegs so, als wäre er selbst überzeugter Anhänger der Geheimen Lehre. »Der Pfau ist das Tier der Göttermutter Hera und repräsentiert die Sonne. Das Muster seines Schwanzes steht zugleich für den hundertäugigen Riesen Argus Panoptes, der einst über Io gewacht hat, die Tochter des Flussgottes Inachus.« Während der Kutscher mit tiefer, wohltönender Stimme sprach, warf er ihr Seitenblicke zu, so als wollte er herausfinden, ob sie diese Fülle an Informationen langweilte oder erschreckte. »Der Riese wurde schließlich besiegt und Io in eine Kuh verwandelt. Die Kuh wiederum galt den Griechen als Personifizierung des Mondes, und wenn der während seiner verschiedenen Phasen die Farben wechselt – von Schwarz nach Weiß bei Neumond und manchmal auch zum roten Vollmond –, dann spiegelt sich darin das Große Werk der Alchimie. Die Wandlung von Wertlosem zu Wertvollem.«
    Die Pferde trabten weiter, unbeeindruckt von den Ausführungen, die ihr Meister schon unzählige Male zum Besten gegeben hatte. Hinter der Kutsche blieb das Haus des Weißen Pfauen zurück.
    »An wie vielen solcher Stationen kommen wir vorbei?«, erkundigte sich Aura.
    »Acht — falls du wirklich die ganze Route fahren willst.«
    »Auf jeden Fall.«
    Als er vorhin erklärt hatte, dass er kein Fremdenführer sei,
hatte er nicht gelogen. Gewiss, er kutschierte seine Kundschaft durch die Stadt und hielt Vorträge, wann immer sie eines der Häuser der Vögel passierten, in Wahrheit aber war das nur ein Teil jener Aufgabe, die er seit langer Zeit erfüllte.
    Als die Straße in den Altstädter Ring mündete und sie die Teynkirche rechts liegen ließen, fragte Aura: »Wie lange fahren Sie schon auf der Route?«
    »Eine Weile.«
    »Seit dem fünfzehnten Jahrhundert? Stand auch in dem Buch.«
    Er seufzte. »1461. Damals bin ich einer von euch geworden.«
    »Aber ein Alchimist waren Sie nie, oder?«
    Ein Lachen dröhnte aus seinem schweren Leib. »Eigentlich bin ich Soldat gewesen. Und, verdammt, ich hab nicht darum gebeten, unsterblich zu werden! Als es aber nun mal so war, musste ich mir irgendeine Aufgabe suchen. Das hier schien eine solide, grundanständige Arbeit zu sein. Was sonst hätte ich auch tun sollen? Ist ja eine lange Zeit.«
    »Das hier ist weit mehr

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