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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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denken S’ dran: Wir sind ein anständ’ges Haus.«
    Gillian zwang sich zu einem liebenswürdigen Lächeln. »Einen schönen Abend wünsche ich Ihnen.«

    Die Frau murmelte etwas, stieg aber dann die Stufen hinunter. Gillian atmete auf, eilte zur Zimmertür und zog den Schlüssel wieder hervor. Gians Blick fiel auf den Anhänger, aber er sagte nichts.
    »Komm rein.«
    Wenig später lehnte sein Sohn am Fenster und sah Gillian zu, wie der sich am Waschbecken die getrockneten Blutschuppen von den Fingern schrubbte. »War ein harter Tag bei der Arbeit, was?«
    Gillian sah im Spiegel kurz zu ihm auf und seifte sich schweigend zum dritten Mal die Finger ein. Den Schlüsselanhänger hatte er bereits gesäubert.
    »Schon gut«, sagte Gian. »Nicht witzig. Ich weiß.«
    »Was machst du hier? Es ist gefährlich, mit mir gesehen zu werden. In Wien gibt es offenbar immer noch jemanden, der —«
    »Ich hab nicht vor dich abzuhalten von ... von dem, was du so tust. Aber du solltest etwas wissen. Etwas Wichtiges.«
    »Hättest du mir das nicht in Paris sagen können? Oder am Telefon? Herrgott, Gian, was kann so wichtig sein, dass du durch halb Europa fährst, um —«
    »Mit der Bahn geht das heutzutage erstaunlich schnell.«
    »Was ist los, Gian?«
    Sein Sohn stand linkisch da, beide Hände an der Kante der Fensterbank und wich seinem Blick aus. »Sie hat gemeint, ich soll dir nichts davon sagen. Es sei besser so, hat sie gemeint.«
    »Wer?« Ach je. »Aura?«
    Gian nickte. »Sie ist dabei gewesen. Wir haben dich zusammen aus diesem Sanatorium geholt.«
    Der Wasserhahn quietschte, als Gillian ihn zudrehte.
    »Ein paar Stunden, bevor du aufgewacht bist, ist sie abgereist«, sagte Gian. »Sie wollte es so. Ich musste ihr versprechen, dir nichts davon zu erzählen.«
    »Warum, um Himmels willen?«

    »Weil sie nicht wollte, dass du ihr folgst. Um dich zu schützen vor dem, was sie vielleicht erwartet. Sie meinte, deine Verfassung sei noch nicht so, dass du —«
    »Wo ist sie hin?« Gillian trat auf Gian zu. Wasser tropfte von seinen Händen auf den Boden.
    »Sie ist nach Prag geflogen. In Tollerans Büro haben wir Unterlagen gefunden, aus denen hervorging, dass er den Auftrag womöglich dort bekommen hat. Da waren Belege aus einem Variete und einem Hotel. Mutter meinte, dass das Ganze vielleicht nur dazu dienen sollte, sie nach Prag zu locken.«
    »Und da war es ihre beste Idee, gleich mal hinzufliegen?«
    Gian neigte den Kopf. »Was hättest du getan? Du hast gedacht, die Hintermänner sitzen hier in Wien, und bist auf der Stelle hergefahren. Als du mich angerufen und mir erzählt hast, dass du hier bist, da —«
    »Da habe ich vor allem nicht gewollt, dass du hier auftauchst!« Gillian hatte sich einen einzigen sentimentalen Anflug erlaubt, gestern Abend, kurz nach seiner Ankunft in Wien, als es ihm gelungen war, dasselbe Hotelzimmer zu bekommen wie schon vor einem Vierteljahrhundert. Er hatte seinen Sohn in Paris angerufen, um ihm noch einmal zu danken und ihm zu erzählen, dass es ihn an den Ort verschlagen hatte, wo damals alles begonnen hatte. Und weil er etwas getrunken hatte, um ruhig schlafen zu können, hatte er gesagt, dass er fortan alles besser machen wolle und dass es nicht noch mal ein so langes Schweigen zwischen ihnen geben dürfe.
    »Was wirst du jetzt tun?«, fragte Gian.
    Gillian rieb sich mit den feuchten Händen durchs Gesicht. Noch vor wenigen Minuten war er müde und erschöpft gewesen von den Gesprächen, die er heute geführt hatte. Die Strapazen seiner Gefangenschaft waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen, seine Muskulatur war noch immer geschwächt, an manchen Stellen gereizt, und er hatte Albträume, sobald er nur
die Augen schloss. Aber die Erwähnung Auras und der Gefahr, in der sie schwebte, rüttelten ihn wach.
    »Ich nehme den nächsten Zug nach Prag«, sagte er. »Dann bin ich in ein paar Stunden bei ihr.«
    »Ich komme mit.«
    »Ganz sicher nicht.«
    »Sie hat das Gleiche gesagt, als sie dich allein aus dem Sanatorium holen wollte. Aber zuletzt war sie doch froh, dass ich dabei war.«
    »Wir werden es nicht nur mit einem geistesgestörten Professor zu tun bekommen, Gian. Dahinter steckt mehr. Jemand, der sehr viel gefährlicher ist als eine Marionette wie Tolleran.«
    »Du hast schon irgendwas rausgefunden, oder?«
    Gillian stopfte die wenigen Kleidungsstücke, die er aus Venedig mitgebracht hatte, in seine Reisetasche und wandte seinem Sohn dabei den Rücken zu. Er gab keine

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