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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Lysander hatte damals längst seine Unsterblichkeit verloren, zudem war er Aura und seiner Tochter Sylvette gegenüber als geläuterter Greis aufgetreten. Sein Ende war nur eine Frage der Zeit gewesen.
    Andererseits – konnten sie sich dessen wirklich sicher sein? Christopher war in Swanetien bestattet worden. Auf Auras Anweisung hin hatte man eine schwere Steinplatte angefertigt, die sein Grab für alle Zeiten fest verschließen sollte. Christopher war unsterblich gewesen, und wie auf den Gräbern aller Erben des Gilgamesch wäre auch auf seinem nach sieben Jahren das Kraut des Ewigen Lebens gewachsen.
    Was aber, wenn Lysander diese sieben Jahre überstanden hatte? Wenn die Granitplatte niemals auf Christophers Grab gelegt worden war und er das Gilgameschkraut geerntet hatte?
    Lysander mochte zuletzt ein gebrochener alter Mann gewesen sein, und vielleicht war er unschuldig an manchen Verbrechen, die in seinem Namen begangen worden waren. Aber hätte er der Aussicht auf eine Erneuerung seiner Unsterblichkeit widerstehen
können? Jahrhundertelang hatte er gemordet, um sein Überleben zu sichern – wie glaubwürdig konnte da sein Sinneswandel sein? Vielleicht hatte Aura sich in ihm getäuscht.
    Der Schmuggler, den Gillian in die Mangel genommen hatte, hatte ihm alles Wichtige über die Lage in Wiens Unterwelt verraten. Keiner der Männer, die heute hier das Sagen hatten, besaß einen Grund, Gillian zu entführen und in Tollerans Sanatorium einsperren zu lassen. Die Namen der meisten kannte er nicht einmal und mit dem Rest hatte er nie persönlich zu tun gehabt. Mittlerweile hielt er es für so gut wie ausgeschlossen, dass einer darunter war, der nach all den Jahren solch einen Aufwand betreiben würde, um ihm zu schaden. Und wenn doch, so hätte man Gillian nach Wien bringen lassen, um ihn nach Art der Unterwelt zu bestrafen. Aber ein Irrenhaus in Paris?
    Und dann dieser Name in den Akten, Lepicier. Je länger Gillian darüber nachgrübelte, desto offensichtlicher führten alle Wege zurück in seine und Auras gemeinsame Vergangenheit. Zum einzigen ihrer Gegner, dessen Tod sie nicht mitangesehen hatten. Zu Lysander.
    Nachdenklich wog Gillian den blutigen Messinganhänger in der Hand, als er unter sich auf der Treppe Schritte hörte.
    »Gnäd’ger Herr?«, rief die Rezeptionistin durch die Stockwerke nach oben. »Nun laufen’s mir doch nicht gleich wieder fort!«
    Aber genau das tat er. Das Letzte, was er jetzt ertragen konnte, war eine penetrante Hotelangestellte, die ihm Vorhaltungen wegen eines Schlüssels machte. Auch fürchtete er sich ein wenig vor sich selbst. Er hatte den Schmuggler übel zugerichtet und spürte in sich ein Reservoir aus Zorn und Aggression, das noch lange nicht erschöpft war. Er wollte nicht riskieren, dass er die Kontrolle verlor, wenn die Frau ihn mit ihrer Ordnungswut zur Weißglut brachte.
    Er zog die Verbindungstür auf und betrat den dunklen Korridor.
Seine Finger fanden blind den Drehschalter an der Wand. Die Deckenleuchten flammten auf.
    Zimmer 7.
    Dasselbe, in dem Aura zum ersten Mal mit ihm geschlafen hatte. In jener Nacht war Gian gezeugt worden. Erst Jahre später hatte Gillian von der Existenz seines Sohnes erfahren.
    Dass Gian ihn an diesem Abend ausgerechnet hier erwartete, erschien auf schicksalhafte Weise folgerichtig. Er saß auf einem kleinen Lederkoffer, gleich neben der Zimmertür.
    »Hallo, Vater.«
    »Gian!«
    »Die Frau an der Rezeption meinte, ich könnte hier oben auf dich warten.« Ein Grinsen flammte über seine Züge. »Ich hab kurz daran gedacht, die Tür aufzubrechen. Ich hab ja jetzt Erfahrung in diesen Dingen.«
    »Was zum Teufel hast du hier zu suchen?«
    »Freut mich, dass du wieder ganz der Alte bist.« Aber er sagte auch das mit einem Lächeln.
    »Du solltest in Paris sein.« Gillian ließ den blutigen Anhänger in der Tasche verschwinden und zog die besudelten Hände tiefer in die Ärmel. Auf der Treppe polterte die Rezeptionistin heran.
    »Nein«, sagte Gian, »ich sollte hier sein. Weil ich dir noch was sagen muss, und ich hätte das schon viel früher tun sollen.«
    Hinter Gillian flog die Treppenhaustür auf. »Er hat g’sagt, er kennt Sie. Da dacht’ ich, der Bursche soll ruhig schon mal hochgeh’ n. Ist nicht schlimm, hoff’ ich.«
    »Alles in Ordnung«, sagte Gillian. »Wir kennen uns.«
    Gian hob gleichzeitig eine Braue und einen Mundwinkel.
    »Na, schön.« Die Frau warf den beiden einen Blick zu, der mit einem Mal Argwohn verriet. »Aber

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