Die Alchimistin 03 - Die Gebannte
und lagen weitere Körper, manche übereinandergehäuft wie die Leichen in Auras Traum.
»Ich weiß«, sagte Severin und hob beschwichtigend eine Hand, »es erscheint ein wenig makaber, wenn man es zum ersten Mal sieht. In Wahrheit aber geht es hier nicht um den Tod, sondern allein um das Leben.«
»Sie wollen Menschen erschaffen?«
Er lachte. »So vermessen bin ich nicht. Meine Schöpfungen sind Automaten und werden immer welche bleiben. Ich bin kein Frankenstein, der Leichenteile zusammennäht. Mir geht es einzig darum, die Technik derart zu perfektionieren, dass der Unterschied kaum mehr ins Gewicht fällt.«
»Und die Körper stammen von Adam?«
»Einige der besseren, ja. Aber er ist zu beschäftigt damit, seine Schwester bis aufs letzte Schamhaar nachzubilden, als dass er mir all die Körperteile liefern könnte, die ich brauche. Also beauftrage ich auch Hersteller von anatomischem Anschauungsmaterial und Schaufensterpuppen. Das wenigste ist auf Dauer brauchbar, manche zerbrechen schon bei den ersten Bewegungen.«
Aura ging an den Schubladenwänden entlang. »Sie haben das Gliederkind erschaffen. Galathée.«
»Sie sollte mein Meisterstück sein. In vielerlei Hinsicht ist sie das Perfekteste, das ich jemals gebaut habe. Aber letztlich war sie dann doch eine große Enttäuschung, gerade weil es im ersten Moment so schien, als sei sie vollkommen.« Er folgte Aura mit einigen Schritten Abstand. »Wo sind Sie ihr begegnet?«
»Zuerst drüben im Haus. Dann draußen auf der Schlossstiege.«
»Im Haus?« Seine Miene verfinsterte sich. »Sie hat dort nichts zu suchen. Estella würde sie auf der Stelle zerschlagen, und die anderen wären wohl auch nicht sehr viel freundlicher zu ihr.«
»Adam hat abgestritten, dass sie überhaupt dort war.«
»Er ist der Meinung, dass es falsch sei, künstlichen Körpern Leben zu schenken«, sagte er. »Oder den Anschein von Leben.«
»Trotzdem fertigt er welche für Sie an.«
»Nur weil ich ihm im Gegenzug helfe, wenn Estella es mal wieder auf ihn und seine Schwester abgesehen hat. Meist zieht er es vor, meine Arbeit einfach zu ignorieren. Aber ich bin es gewohnt, gegen Windmühlen anzukämpfen. Häufig stellt sich selbst der kleinste Erfolg schon bald als weiteres Scheitern heraus. Und man liebt es in dieser Familie, mich an meine Fehlschläge zu erinnern.«
»Aber Galathee scheint eine Art Eigenleben zu besitzen?«
»Ihr Verstand – wenn man es denn so nennen will — befindet sich auf dem Niveau einer Amöbe. Besser als der einer Schaufensterpuppe,
werden Sie sagen. Aber sie war zu so viel Größerem bestimmt.«
»Trotzdem bewegt sie sich eigenständig durch die Stadt.«
»Dann und wann entwischt sie mir. Dieses Gemäuer hat zu viele Schlupflöcher. Ein Wunder, dass noch nicht mehr zu Bruch gegangen ist als nur ihr Fuß.«
»Aber sie lebt. In gewisser Weise jedenfalls.«
»Sie hat herausgefunden, wie sie ihren eigenen Mechanismus aufziehen kann, das ist alles. Umhergewandert sind auch schon andere, manche sehr viel schneller und eleganter als sie, doch sie alle blieben irgendwann stehen und rührten sich nicht mehr. Das Prinzip ist das einer Spieluhr. Sie müssen aufgezogen werden, um zu funktionieren. Und die kleine Galathee, mag sie ansonsten auch noch so plump sein, ist die einzige von allen, die es fertiggebracht hat, sich selbst aufzuziehen. Wieder und wieder, schon seit Jahren.«
»Das bedeutet aber doch, dass sie dazugelernt hat.«
»Selbst ein Regenwurm besitzt den Instinkt, sein Leben zu erhalten. Jede Eidechse weiß, was sie tun muss, um fortzubestehen. Intelligenz ist das nicht. Nicht so, wie ich es geplant hatte.«
»Trotzdem macht es sie menschlicher als das alles hier.« Aura blickte sich in der Werkstatt um und die toten Gesichter starrten zurück. »>Menschen sind die Maschinen der Engel<, hat Jean Paul geschrieben. Was sind dann Ihre Maschinen?«
Severin nahm eine dolchlange Stahlnadel aus einem Schubfach, ging zu einer der vollständigen Puppen hinüber und stach damit nacheinander in die Fingerspitzen ihrer rechten Hand.
»Sie können nicht fühlen«, sagte er. »Das ist der fundamentale Unterschied zum Menschen. Intelligenz entsteht, wenn Verstand und Gefühl aufeinandertreffen.« Niedergeschlagen ließ er den künstlichen Arm sinken. Erst jetzt erkannte Aura, dass es sich bei der Nadel um einen Zeiger handelte. »Sie aber fühlen nicht das Geringste. Solange es mir nicht gelingt, ihnen
Emotionen einzupflanzen, werden sie nichts anderes
Weitere Kostenlose Bücher