Die Alchimistin 03 - Die Gebannte
bleiben als Aufziehpuppen.«
»Und trotzdem suchen Sie nach einer Möglichkeit, ihnen das ewige Leben zu schenken?«
»Das Horologium Aeternum«, erklärte er mit sehnsuchtsvollem Seufzen. »Eine Art Perpetuum Mobile, das einen Mechanismus ewig antreibt. Sie haben doch vom Grab des Tutanchamun gehört, das dieser Carter im vergangenen Februar geöffnet hat? Es heißt, darin sei auch ein Horologium Aeternum gefunden worden, ein Uhrwerk, das selbst nach all den Jahrtausenden noch einwandfrei funktioniert.«
»Alles Mögliche soll in diesem Grab gelegen haben. Vieles davon dürften Hirngespinste sein.«
»Wenn es einen Weg gibt, Menschen unsterblich zu machen – warum dann nicht auch Maschinen?« Severin nahm seine Brille ab und setzte sie fast liebevoll der Puppe auf, deren Hand er gerade malträtiert hatte. Die Augen schienen hinter dem Glas zum Leben zu erwachen. »Auch in euch Unsterblichen steckt ein Horologium Aeternum. Man müsste es nur ausgraben, wie aus diesem Pharaonengrab.«
KAPITEL 39
Zurück zum Variete Nadeltanz, eine düstere Vorahnung im Nacken, die alle Passanten auf dem Weg dorthin nahezu unsichtbar machte: Spukbilder vor den grauen Fassaden der Stadt.
Severin hatte Aura zurück zum Portal geleitet und ihr den Zeiger als Geschenk überreicht. »Ohne Uhr steht er einfach nur still inmitten der Zeit«, hatte er gesagt. »Genau wie Sie und Sophia.«
Draußen war ihr die Melodie des Leierkastens gefolgt. Der Einäugige hatte ihr aus dem Schatten der Arkaden nachgeblickt, sein Affe aber war nirgends zu sehen gewesen. Aura stellte sich vor, wie ihr das kleine Biest über die Giebel folgte. Es kostete sie Willenskraft, nicht zu den Dächern hinaufzusehen und danach zu suchen.
Es war bereits gegen fünf, als sie zum zweiten Mal an diesem Tag vor dem geschlossenen Eisentor stand, das auf den Hinterhof und zum Variete führte. Diesmal entdeckte sie ein Schild mit tschechischer und deutscher Beschriftung: Geschlossene Gesellschaft. Hätte ihr nicht auffallen müssen, wenn es zuvor schon dort gehangen hätte?
Die Gasse war menschenleer. Aus einem offenen Fenster auf der gegenüberliegenden Straßenseite erklangen Stimmen, eine junge und eine ältere Frau stritten miteinander. Weit entfernt erklangen Trommeln. Dumpfe, rhythmische Paukenschläge.
Das Tor bestand im unteren Teil aus zwei glatten Metallflügeln, erst im oberen Drittel wurde ein Gitter daraus. Der Spalt zwischen dem Steinbogen und den rostigen Stäben war zu schmal, um hindurchzuklettern.
Einige Meter weiter links gab es einen Eingang zum Vorderhaus. Die Tür der unscheinbaren Mietskaserne war nur mit einem simplen Schloss gesichert. Aura öffnete sie mit einem Dietrich; sie trug mehrere davon bei sich, unter dem doppelten Boden eines Federhalteretuis. Eilig schlüpfte sie ins Treppenhaus und schob die Tür hinter sich zu.
Der Hinterausgang zum Hof war von außen verriegelt – ungewöhnlich genug –, aber Aura fand nach kurzer Suche ein enges Kellerfenster und schob sich durch die Öffnung. An den umliegenden Scheiben zeigte sich niemand, als sie sich im Hinterhof aufrichtete. Sie wischte sich Staub von der Kleidung und fädelte Spinnweben aus ihrem Haar, dann trat sie vor den Eingang des Varietes.
Das Trommeln kam aus dem Inneren.
Das Schloss der roten Doppeltür erwies sich als ungleich komplizierter. Aura brauchte fast zwei Minuten, ehe der Bolzen endlich zurücksprang. Die Markise vor dem Tor schützte sie vor Blicken aus den oberen Stockwerken, und doch konnte sie das Gefühl nicht abschütteln, beobachtet zu werden.
Vorsichtig betrat sie den Gang und schob die Tür hinter sich zu. Im Inneren brannten alle Lichter. Sophia blickte sie von den Plakaten in den Schaukästen an, als Göttin, Hexe und Unschuldsengel. Nur hinter dem Fenster der Abendkasse war es dunkel. Aura tauchte trotzdem darunter hinweg, als sie sich rasch an der Wand entlang zur Verbindungstür aus Milchglas bewegte.
Ein letzter Paukenschlag, dann herrschte Stille.
Auch das Foyer war hell erleuchtet, aber die Haken der Garderobe waren leer. Stimmen drangen durch die geschlossene Tür zum Saal. Die Anwesenheit anderer Menschen hing in der Luft, doch noch sah sie niemanden. Dafür setzte ein vielstimmiges Wispern ein; dort drinnen wurde in einem unheimlichen Flüsterton gesungen.
Sie suchte nach einem Weg in die Suiten. Von oben würde es einfacher sein, unbemerkt zu beobachten, was im Saal vor sich ging. Und welche Rolle Sophia dabei spielte.
Lautlos
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