Die Alchimistin 03 - Die Gebannte
ziemlichen Stock im Arsch, könnte man sagen.«
Frydrych warf ihm einen Blick zu, der bestenfalls eine halbherzige Rüge war.
»Ich war mit einer Bekannten dort. Sie ist eine« — ja, was eigentlich? – »Verwandte der Octavians.«
»Würden Sie uns den Namen dieser Bekannten verraten?«
»Ich kenne nur ihren Künstlernamen. Sophia Luminique.«
Der Polizist am Fenster pfiff durch die Zähne. »Mannsdressur«, flüsterte er anerkennend.
Frydrych bewegte den Unterkiefer ein paar Mal von rechts nach links, vielleicht ein Zeichen dafür, dass er nachdachte. »Sie waren also mit einer Bekannten, deren wahren Namen Sie nicht kennen, im Haus einer der reichsten Familien der Stadt zu einem Abendessen, zu dem Sie persönlich gar keine Einladung hatten – falls ich Sie recht verstehe. Und übernachtet haben Sie dann bei anderen Bekannten, deren Adresse Ihnen leider entfallen ist. Soweit alles richtig?«
»Wollen Sie mich dafür verhaften?«
»Niemand will Sie verhaften.«
»Warum denn auch?« Der Uniformierte betrachtete interessiert seine Fingernägel.
Aura sah Frydrych an. »Genau diese Frage stelle ich Ihnen, seit Sie beide zur Tür hereingekommen sind.«
Der Kommissar ging langsam zu seinem Kollegen am Fenster hinüber, schob den Vorhang beiseite und sah hinaus auf die Straße.
»Frau Institoris«, sagte er schließlich, als er sich wieder zu ihr umdrehte, »ich habe derzeit keinen Grund, Sie zu verhaften. Aber ich möchte Sie um etwas bitten. Wären Sie wohl so liebenswürdig, in den nächsten achtundvierzig Stunden die Stadt nicht zu verlassen?«
Sie nickte. »Wenn Ihnen das hilft.«
»Wir haben noch nicht mit allen Nachbarn sprechen können, aber das werden wir im Laufe des Tages erledigen. Dann wird vielleicht schon manches sehr viel klarer sein. Aber auch an Sie habe ich noch eine Frage: Was genau hat Sie eigentlich nach Prag geführt?«
Ihr war jetzt sehr kalt, aber sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. »Ich sammle alte Bücher. Ich hatte vor, mich in den Antiquariaten umzusehen. Man findet hier immer noch eine Menge deutschsprachige Literatur aus dem letzten Jahrhundert, heißt es.«
Frydrych schaute sich im Zimmer um. Nirgends lag ein einziges Buch. »Noch nicht das Richtige gefunden? Sie sind doch schon ein paar Tage hier.«
»Wie es aussieht, bleibe ich mindestens zwei weitere. Das dürfte reichen.«
Frydrych seufzte leise, während er sich Richtung Tür in Bewegung setzte und seinem Kollegen mit einem Wink bedeutete, das Gleiche zu tun. »Schauen Sie sich nur um in unserer Stadt. Ich hoffe, Sie haben noch ein wenig Spaß, solange Sie hier sind. Prag kann sehr amüsant sein, wenn man weiß, wo es die beste Unterhaltung gibt.«
»Mannsdressur«, murmelte der Polizist in Uniform noch einmal.
»Sie wollen es mir tatsächlich nicht sagen, oder?«
Frydrych blieb stehen. »Wie bitte?«
»Was geschehen ist. Warum Sie mir all diese Fragen stellen.«
Während der Uniformierte bereits die Zimmertür öffnete, schob der Kommissar beide Hände in die Manteltaschen und sah Aura ohne jede Gefühlsregung an. »Ihr Name stand, wie gesagt, auf einem Zettel. Dieser Zettel befand sich auf einem Schreibtisch, auf einer Zeitung von gestern. Er ist also erst kürzlich dort abgelegt worden.« Frydrych musste auffallen, wie bleich sie geworden war, aber er erwähnte es nicht. »Vor dem
Tisch lag eine Leiche, Frau Institoris, und eine zweite nur wenige Meter entfernt nahe der Haustür. Die Körper waren noch nicht kalt, als die Putzfrau sie gefunden hat. Jemand hat Lucrecia und Salome Kaskaden heute Morgen die Kehlen durchgeschnitten, vor nicht einmal sechs Stunden. Aber da lagen Sie ja schon in Ihrem Bett, nicht wahr?«
KAPITEL 38
Das geschlossene Eisentor des Hinterhofs, in dem sich der Eingang zum Variete Nadeltanz befand, war mit einer Kette gesichert. Aura eilte weiter zu Sophias Wohnung, nur zwei Straßen entfernt, doch niemand öffnete. Sie versuchte, zu den Fenstern hinaufzuschauen, aber das musste so verzweifelt aussehen, wie sie sich fühlte, also wandte sie sich ab und ging weiter.
Sophia blieb Aura ein Rätsel. Aura fiel beim besten Willen kein Grund ein, weshalb sie den Schwestern ein Haar hätte krümmen sollen; aber auch wenn Sophia nichts damit zu tun hatte, mochte sie doch eine Idee haben, wer dahintersteckte.
Unter den Arkaden des Palais Octavian stand ein einäugiger Leierkastenmann. Auf seiner Schulter saß ein uniformierter Affe wie ein geschrumpfter Doppelgänger des
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