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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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huschte sie eine Seitentreppe hinauf und öffnete eine lederbezogene Tür. Dahinter war es dunkel. Ihre Hand ertastete einen Lichtschalter, mehrere Lampen flammten auf. Vor ihr lag der gebogene Korridor mit den Zugängen zu den Suiten. Es gab keine Fenster, nur weitere gerahmte Plakate.
    Der Wispergesang schien hier oben von allen Seiten zu kommen. Behutsam schob sie die Klinke der Fürstensuite nach unten, dieselbe, in der sie mit Sophia gesessen hatte. Sie schlüpfte hinein und ging hinter der Brüstung in Deckung.
    Im Saal war es dunkel, nur im Zentrum der Bühne stand ein heller Kegel wie eine Skulptur aus Licht. Am äußeren Rand seines Scheins war zu erkennen, dass alle Tische und Stühle entfernt und durch geräumige Sofas und Sessel ersetzt worden waren. Etwa vierzig Zuschauer befanden sich dort unten, Männer und Frauen in dunkler Abendgarderobe. Die meisten Herren waren weiß- oder grauhaarig und strahlten mondäne Eitelkeit aus. Hingegen schien keine der Damen älter als Anfang zwanzig zu sein. Die meisten waren stark geschminkt, ihre Kleider tief ausgeschnitten; auch zeigten sie mehr Bein als in der besseren Gesellschaft üblich. Nur die Männer flüsterten, die Frauen blickten schweigend zur Bühne hinauf.
    Dort oben im Lichtschein hatte Sophia die Pose einer vorzeitlichen Hohepriesterin eingenommen, das Kinn erhoben, die Arme nach vorn gestreckt. Sie trug eine ausladende Robe aus feinmaschigem Gold, darüber einen Überwurf aus winzigen Silberschuppen. In ihr Kristallhaar musste sie Glasperlen oder Edelsteine gesteckt haben, das Funkeln und Blitzen krönte ihr Haupt wie eine Tiara aus Eis. Ihre Miene verriet keine Regung.
    Vor Sophia kniete ein Mann im schwarzen Frack, das Haupt so tief vorgebeugt, dass seine Stirn fast die Bühne berührte.

    Sie gab ein Zeichen und der Gesang verstummte. Stille legte sich über den Saal.
    Als Sophia das Wort ergriff, klang ihre Stimme tiefer als sonst. Etwas Bedrohliches brodelte darin. »Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu gießen, und was will ich anderes, als dass es brenne?«
    »Es soll brennen!«, riefen die Männer im Chor, während die Frauen weiterhin schwiegen.
    »Feuer bin ich und mit Licht sollst du getauft sein.«
    »Du bist das Feuer!«, intonierten die Zuschauer.
    »Licht der Lichter, steig herab durch die zwölf Äonen! Ich rufe die Unbekannten, auf dass sie der Lichttaufe der Ophiten beiwohnen und die Übergabe des Siegels bezeugen.« Und sie beschwor einige Wesenheiten, deren hebräische Namen Aura vage bekannt vorkamen. Zuletzt ging Sophia über zu einer Anrufung heidnischer Gottheiten: »Ich rufe Isis und Osiris, Adonis und Attis, Dionysos und Astarte!«
    Die Ophiten im Dunkeln wiederholten jeden dieser Namen, während Sophia unter ihrem Kleid einen hölzernen Phallus hervorzog. Arg abgeschmackt, aber auf die Versammelten verfehlte er nicht seine Wirkung: Ein erregtes Raunen strich durch das Publikum. Es war jetzt offensichtlich, worauf diese »Lichttaufe« hinauslaufen würde.
    Erst aber legte Sophia den Phallus auf den Kopf des Mannes, der zu ihren Füßen kniete, und dabei murmelte sie in einem fort weitere Anrufungen. »Beuge dich vor der Crux Truncata und spüre, wie sich das Feuer deiner bemächtigt!«, beendete sie schließlich ihre Litanei.
    Der Mann hob den Kopf und antwortete mit einer wirren rituellen Formel: »Ich habe mich selbst in meinem Wesen erkannt, dem Weltenschöpfer keine Kinder gezeugt, sondern seine Wurzel ausgerissen, um die verstreuten Glieder aufzusammeln zu deinen Ehren. Ich weiß, wer du bist, denn nun stamme auch ich von oben her.«

    Dann kroch er rückwärts und mit dem Gesicht am Boden von ihr fort, bis er den Bühnenrand erreichte. Dort halfen ihm andere hinab in den Saal und sogleich gesellte sich eine der Frauen zu ihm, zog ihn auf ein Sofa und ließ zu, dass er umgehend eine ihre Brüste entblößte und daran saugte wie ein Neugeborenes. Aura verzog angewidert das Gesicht.
    Noch aber ging die Anbetung Sophias nicht in die unvermeidliche Orgie über. Vor ihr wuchs ein gewaltiger Tisch aus der Bühne empor, eine Speisetafel. Auf einem weißen Tuch war in Silber für fünfzehn Personen eingedeckt – das musste die Zahl der männlichen Teilnehmer sein. In der Mitte stand ein Leuchter mit vielen Armen, daneben ein Korb mit einem großen Brotlaib. Sophia bückte sich und hob mit beiden Händen ein schillerndes Geschlinge vom Boden, das sich als mächtiges Reptil entpuppte. Im ersten Moment glaubte Aura, es handele

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