Die Aldi-Welt
verschwinden.
Sie waren einfache Kaufleute aus dem Ruhrgebiet, nicht besonders auffällig, nicht erkennbar prädestiniert für das Titanische. Die Keimzelle des Imperiums steht noch, in der Huestraße, im Essener Bergarbeitervorort Schonnebeck. Dort hatte Anna Albrecht, die Mutter der Brüder Karl und Theodor, einen kleinen Lebensmittelladen – Ironie der Geschichte: es handelte sich naturgemäß um jenen Typ Tante-Emma-Laden, dem ihre Söhne später so beherzt den Garaus machen sollten. Die Struktur des Einzelhandels sollte nie mehr so werden wie vor dem Krieg. Die beschaulichen Zeiten waren vorbei, und sie kehrten nicht wieder. Diesen Riecher müssen die Albrecht-Brüder, gezeichnet von den Entbehrungen, gehabt haben. Nach dem verlorenen Krieg war die Gier nach Leben so enorm, daß es im alten Stil nicht weitergehen konnte. Wenn, dann groß. Und von allem bitte reichlich. So setzten die Brüder auf ein Grundnahrungsmittel als Lockmittel, das bis heute noch konkurrenzlos günstig in ihren Läden zu haben ist: Butter. Teilweise weit unter Selbstkostenpreis wurde das Päckchen angeboten. Das lockte die Kunden. Gespart haben die Albrechts an etwas anderem als am Preis. An der Kühlung. Anstatt teure Kühlgeräte anzuschaffen, ließen sie die Butter abends von ihren Angestellten in den Keller schaffen. Die schlechten Lagen ihrer Filialen machten sie durch Dumpingpreise locker wett; und so kam eine Filiale zur nächsten. Schon 1953 sind es 31. Das Tempo ist rasant, die Linie stimmt. Als aufstrebender Handelsherr hat Karl Albrecht 1953 auch einen seiner höchst raren Auftritte vor Branchenkollegen, was in etwa so häufig vorgekommen ist wie eine Papstreise nach Papua-Neuginea. Bei diesem Treffen redet Karl Albrecht. Von den Albrecht-Brüdern gibt es, aufs ganze lange Berufsleben gesehen, vermutlich weniger dokumentierte Zitate als von dem in Anonymität lebenden amerikanischen Großschriftsteller Thomas Pynchon. Pynchon hatte im Juni 1997 dem Nachrichtensender CNN ein »Interview« gegeben, in dem ganze zwei Sätze gesagt wurden. Einer davon lautet sinngemäß, es bedeute nicht, daß er, Pynchon, scheu sei, bloß weil er nicht mit Reportern reden wolle. Der Satz hätte von den Albrecht-Brüdern sein können.
Zurück zu jenem Satz, der aus dem Jahr 1953 überliefert ist. Damals sagt Karl über das Verkaufssystem, das er und sein Bruder entwickelt hatten: »Dabei handelt es sich nicht um ein normales Bedienen, sondern um Massenabfertigung.« Ein ganz und gar zeitgenössisches Konzept, in der Mitte eines Jahrhunderts, das alles nach Massen zu bemessen gelernt hat – Tierhaltung, Fortbewegung, Vernichtung.
Dieses simple, aber betriebswirtschaftlich hochrentable Rezept der Reduzierung fiel in den mageren Nachkriegsjahren auf einen fruchtbaren Boden. Für Schnickschnack war kein Geld da, aber die Menschen waren hungrig nach lange entbehrten Genüssen. Und so ging die Geschwindigkeit der Expansion in eine höhere Gangart. Bereits 1960 sind die Brüder bei 300 Filialen und einem Umsatz von rund 90 Millionen Mark angelangt. Dann folgt das Schicksalsjahr der Deutschen, 1961. Während alle Blicke nach Berlin, zum beginnenden Mauerbau, schauen, eröffnen die Albrechts in Dortmund den ersten Albrecht Discountladen, der ihre Ideen für ein minimalistisches Schachtelgeschäft umsetzt. Nach und nach werden die bestehenden Filialen umgerüstet. Jetzt steht das Konzept, und die Zeit der Experimente ist vorbei: In Ladengrößen von 300 bis 400 Quadratmetern wird ein kleines, überschaubares Sortiment von 450 bis 600 Artikeln angeboten. Diese sogenannten Schnelldreher, sich gut verkaufende Massenartikel des täglichen Bedarfs, werden ab Palette beziehungsweise aus dem Karton heraus verkauft. Selbstbedienung ist gar kein Ausdruck: Die Läden werden mit einem Minimum an Personal und Einrichtung betrieben. Frischwaren sind nicht im Angebot, neumodischer Schnokus wie Kühltheken oder Gefriertruhen fehlen. Dazu wieder ein Satz aus dem Munde des Firmengründers Karl Albrecht, dessen schlichte Eleganz den geborenen Rhetor erkennen läßt: »Dekorationen im Laden werden nicht ausgeführt.« – Natürlich nicht. Ein Aldi mit Dekorationen käme einem vor wie die Wüste Gobi mit einer Fata Morgana von der Bundesgartenschau. Das Konzept ist bald berühmt-berüchtigt. Berüchtigt bei der Konkurrenz, die mit den Niedrigpreisen nicht mithalten kann, berühmt bei den Kunden, die offenbar auch in den Jahren des Wirtschaftswunders gar nichts dagegen
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