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Die Aldi-Welt

Die Aldi-Welt

Titel: Die Aldi-Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Hintermeier
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haben, sich mit günstigen Grundnahrungsmitteln zu versorgen.
    Es ist nicht ohne historische Pikanterie, daß ausgerechnet 1961 zum Jahr der Discounteinführung wurde; das Jahr des Bruderzwists zwischen den beiden deutschen Staaten sieht auch noch eine Trennung im Hause Albrecht. Die Ursachen für das Zerwürfnis liegen im dunkeln; welcher Bruder dem anderen die Freundschaft gekündigt hat, darüber rätselte damals die Fachpresse. Ob nun Theo der weniger ehrgeizige oder Karl der beständigere, dafür später im Ausland engagiertere es gewesen ist – geschenkt. Es hat auf jeden Fall einen aparten Beigeschmack, wenn sich Welt- und Wirtschaftsgeschichte auf so schöne Weise kreuzen und die politische West-Ost-Teilung Deutschlands von einer wirtschaftlichen in Nord-Süd-Richtung begleitet wird. Unter Brüdern waren die Blutsbande dann aber doch zu stark, um den Erfolg im Großen durch Streiterei im Kleinen zu gefährden. Theo Albrecht gründete jedenfalls, nachdem er entschieden hatte, daß »die Einzelführung (…) der Kollegialführung vorzuziehen ist« in Herten die Albrecht KG, sein Bruder Karl tat das gleiche in Mülheim an der Ruhr. Die Grenzziehung erfolgte offenbar nach Kolonialherrenart. Da eine natürliche oder politische Grenze nicht zur Verfügung stand, wurde der Strich in Bochold an der niederländischen Grenze begonnen, und zwischen Essen und Mülheim durchgezogen, weiter durch das Ruhrgebiet, entlang der Sauerlandlinie bis ins hessische Zonengrenzgebiet hinein. Nach der Wiedervereinigung wurde die Linie weitergeführt bis an die polnische Grenze bei Görlitz. Zu dem Zeitpunkt war den Brüdern Deutschland aber längst zu klein geworden.
    In dem Jahrzehnt des Vietnamkriegs, von Mondlandung und Studentenrevolte ging die Albrechtsche Zellteilung auf dem Inlandsmarkt ungebremst weiter. In der Dekade nach dem Mauerbau hat sich die Zahl der Filialen verdoppelt. Damit ist eingetreten, was die Legende noch einmal Karl zuschreibt, nämlich jenen Ausspruch, der quasi das Philosophem des Konzerns darstellt: »Unser Betrieb wird fast ausschließlich von niedrigen Verkaufspreisen dirigiert. Alle anderen Maßnahmen zur Belebung des Geschäftes stehen schon lange nicht mehr zur Debatte.«
    Die Entwicklung der Discountidee hat Karl Albrecht recht gegeben. 1990, im Jahr der Vollstreckung der deutschen Einheit, sind es 2000 Filialen; und dank des Mauerfalls und der neuen Märkte in den neuen Bundesländern, deren Bewohner bedingungslos und ohne Wenn und Aber ja zu Aldi sagen, sind es im Jahr 1996 schon 2900 Filialen auf deutschem Boden (vom Ausland und den Dependancen wird gesondert die Rede sein). Noch wird das Netz enger und enger geknüpft, auch wenn Branchenbeobachter meinen, der Riese stoße langsam ans Ende des Wachstums. Beim derzeitigen Stand der Dinge versorgt eine Aldi-Filiale ein Planquadrat mit einer Seitenlänge von knapp elf Kilometern. So wenig Einzugsgebiet war nie. Andererseits, um ein wenig Statistik mit dem Faustkeil zu betreiben, versorgt eine Aldi-Filiale theoretisch 27000 Bundesbürger – da ist noch Potential vorhanden.
     
     
    Selbst ist die Familie
     
    Sie sitzen wie die sprichwörtliche Spinne im Netz. In einem Netz, dessen Symmetrie, Schönheit und Perfektion sich nur dem Eingeweihten oder dem Kenner erschließt. Hier, wie nirgends sonst, gilt die bayerische Weisheit: Nix Gwiss woas ma ned. Außer, daß die Brüder bis heute alle entscheidenden Fäden des gewaltig angeschwollenen Handelsimperiums in den Händen halten. Es gibt mit Sicherheit kein Unternehmen dieser Größe in Deutschland, über dessen tatsächliche Gewinne – von Verlusten ist in unserem Falle eher seltener die Rede – so wenig bekannt ist wie im Falle Aldi. Neben dem Hang zur Sparsamkeit schlägt in diesem Punkt die zweite große Begabung der Albrechts, der Wille zur Verdunklung, am eindrucksvollsten durch. Wann immer sich Konkurrenz oder Presse um einen Vergleich mit Aldi bemühten, taucht bei Aldi ein hochgestelltes Sternchen nach der Zahl auf: »Geschätzt« heißt es dann in der betreffenden Fußnote. Diese Schätzungen, sagen Fachleute, seien ein ziemlich präzises Instrument – aber sie sagen es in dem Bewußtsein, auch ein wenig versagt zu haben. Da operiert mitten in Deutschland ein Konzern, der nach offizieller Lesart keiner ist, und alle scheinen sich damit arrangiert zu haben. Verschlußsache Aldi? Die im Dunkeln sieht man nicht, heißt ein Roman von Johannes Mario Simmel. Die bei Aldi kennt man nicht, könnte

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