Die Aldi-Welt
Ökotourismus in Regenwäldern. Faultiere in hohlen Baumstämmen, Kolibris, Kletteraffen und karibische Dünste aus Rasta, Shit und Rumdrinks. Kokosmilch. Und da waren sie gewesen, endlose Bananenplantagen, überdeckt mit blauen Plastikplanen, verwoben mit Netzen, um die Vögel abzuhalten. Der Hubschrauber sprüht die Staudenfelder mit Pestiziden ein, dann werden die Früchte grün, lang vor der Reife geerntet, Küstenmotorschiffe bringen sie zum nächsten Überseehafen, wo sie auf Kühlschiffe kommen und dann den Weg ins Endabnehmerland nehmen; in den stickigen Aldi-Markt. Da liegen sie dann in mannshohen Pappschachteln auf Europaletten. Schrumpfformen ihrer Vorfahren, die wirklich nach Banane schmecken, süß und schwer und sättigend. Ein sentimentaler Anfall inmitten eines Einkaufsgangs, der nichts mit »Dole«-Dampfern zu tun hatte, bis er auf diese Reminiszenz gestoßen war. Vielleicht waren ihm die dortigen Läden wieder erschienen, die so wenig mit den hiesigen Konsumtempeln zu tun hatten, gegen die sich selbst ein Aldi wie ein Schlaraffenland ausnahm. Dort gab es immer nur das Nötigste. Aber was war »das Nötigste« – Rasierschaum in Dosen (gab es bei Aldi nicht!), Rasierklingen, Kaugummis, Zigaretten, Mehl, Zucker, Waschmittel, Gebäck. Warum stoßen wir immer im Urlaub auf winzige Kramerläden, sagen wir, in einem Kaff auf dem Peloponnes, Kramerläden, die so gut wie leer sind, und die doch alles zu haben scheinen? Nicht jene Kabuffs, die auf dem Platz einer Einzimmerwohnung das Angebot eines durchschnittlichen Supermarkts haben, sondern diese winzigen Zimmer, vor deren Tür Postkarten gilben, ein paar Farbfilme bleichen und in deren Inneren Tomaten, Zwiebeln und eine Handvoll Flaschen Kopfwehweins so lagern, als seien sie niemals dafür vorgesehen gewesen, wirklich verkauft zu werden. Und dann und wann ein deutscher Segler, der den entscheidenden Stützkauf vornimmt: ungeahnte Mengen von Bier (in verschweißten Papp-Paletten), Gin und Tonic und Dosenfisch. Welch ein Unterschied zu den Gastarbeitern, die in seinem ehemaligen Stamm-Aldi in der Ganghofer Straße im Münchner Westend jeden Morgen in einer kleinen Schlange um 9 Uhr Einlaß begehrten, als gäbe es irgendwelche Preise zu gewinnen. Stapelweise, buchstäblich palettenweise, wurde da Pflanzenöl gebunkert, niemals das (vergleichweise teure) Olivenöl, immer das gelbe Plastikflaschenöl, so als müßte jedes Gericht in einem Bad aus kochendem Öl ersäuft werden. Wieso kein Olivenöl, wo doch unsere Zeitungen voll von Nachrichten der gesunden mediterranen Ernährung sind? Herzinfarktrisiko runter, Knoblauch dazu, ungesättigte Fettsäuren, Leute sauft Olivenöl, eßt Fisch, trinkt Rotwein… ahh, denkt er, Aldi, Mamma Aldi, du könntest wie eine italienische Mutter zu mir sein oder wie ein griechischer Fischer oder ein türkischer Hotelier, du könntest mich bewirten mit den Kostbarkeiten des Mittelmeers, aber nix: kein Espresso (außer einem widerwärtigen Pappgetränk aus Tütchen, »Cappuccino« genannt, ein Hohn auf die historische Vorlage), kein Greek coffee, kein türkischer Mokka, nur dieser Albrecht-Kaffee. Eine Frau, sagt Benn, ist »Süden, Hirt und Meer«, davon ist keine Rede bei dir, mein Aldi. Du bist ein nüchterner Kotzbrocken, kein Eros, nur Thanatos. Eigentlich kann ich dich nicht ausstehen, du Aldi, aber ich brauche dich, weil du mir zeigst, daß ich ein windiger Lügner im Hause des Herrn und Vaters K ONSUM bin. Ich könnte dich mit Lidl oder Penny betrügen, aber ich würde es nicht ertragen. Ich würde zurückkehren in deinen geklinkerten Schoß, in deinen Geburtskanal: Der schnelle Brüter, der Schnelldrehermutterkuchen, der Ursprung der Billigwelt.
Der Aufstieg eines Giganten
Die Geschichte der deutschen Nachkriegsjahre aus der Sicht der Wirtschaftskapitäne, der Aufstieg einer Republik aus den Ruinen in das Wirtschaftswunder hinein – diese Geschichte wird ohne die Brüder Albrecht geschrieben werden müssen. Kaum eine blasse Erinnerung wird es an sie als Person geben. Es ist ein merkwürdiger Umstand, der das Brüderpaar heute beinahe in einem geschichtslosen Raum zeigt: schemenhaft, eine Handvoll unscharfe Fotos existieren; beinahe verschwunden sind sie hinter ihrem Werk. Ist das angebrachte Vorsicht vor Erpressung, Entführung (das gewiß auch), oder absichtsvolle Nichteinmischung aus Bequemlichkeit? Natürlich sind sie irgendwann aus der Geschichte hervorgetreten, aber nur, um sogleich wieder in ihr zu
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