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Die Aldi-Welt

Die Aldi-Welt

Titel: Die Aldi-Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Hintermeier
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an Dosentomaten denken, ohne daß diese Bilder abliefen. Die Bolognese hatte übrigens damit geendet, daß er sich beleidigt als Chef de cuisine auf die Mole zurückgezogen hatte, weil sich die Damen auch in der Kombüse wieder über die Vorbeziehungsweise Nachteile von Dosentomaten… Immer gehen wir in irgendwelche Supermärkte hinein und suchen das, was wir immer suchen. Und das, was wir nicht suchen, ist bestimmt immer auch da, fällt ihm ein, als er diesen Sozialpädagogen mit schütterem Haar, gemusterten Socken und Birkenstocksandalen vor sich die Champignons in Dosen mustern sieht. Sei nicht so negativ, fährt ihm in einem Anfall von Anstand und ethisch korrekter Rest-Erziehung in den Sinn, der Mann ist vielleicht Atomphysiker, arbeitet an der entscheidend neuen Bombe, die uns alle auslöschen wird, während daheim in den Vorratskammern Dosentomaten mit einer Halbwertszeit von handelsüblichen israelischen Honigmelonen lagern. So ein Teil hatte er bei seinem früheren Stamm-Aldi erstanden. Das lag seinerzeit monatelang als Zierobjekt in der Obstschale. Auch Sonneneinstrahlung auf dem Fensterbrett vermochte ihm nichts anzuhaben. Es lag einfach da und veränderte sich nicht im geringsten. Irgendwann hatte er darauf verzichtet, es überhaupt anzuschneiden – vermutlich ein Fehler, eventuell hätten sich im Inneren bereits aufstrebende Kolonien von Außerirdischen befunden, die freundlich gewunken hätten, bevor sie mit ihren Strahlenkanonen – nein, Schluß jetzt, das geht zu weit. Tagträumer müssen draußen bleiben. Es wurde wirklich Zeit, mit einem Blick auf den Einkaufszettel eine Kurskorrektur vorzunehmen. Die durchschnittliche Verweildauer in einer Aldi-Filiale sollte schließlich die in einer McDonald’s-Filiale nicht übersteigen. What’s left oder Haben wir alles?
    Die Runde nähert sich dem Ende. Er fühlt es. The power of now, wie die saudumme Zigarettenwerbung (also nicht saudumm: hastse dir doch eingeprägt. Sic!) textet, the power geht dem Ende zu. Wein, Klopapier, Spülschwämme, Schokokekse? –? Wo waren die Schokokekse? Keine Schokokekse, leiste Konsumverzicht. Wieso wurde dieses Gefühl, eigentlich und überhaupt dies alles nicht zu wollen gegen Ende der dritten Gasse regelmäßig übermächtig? Die Kaufentscheidungen waren doch alle so verkehrt nicht gewesen. Das war doch alles gut gewählt. Das sparte doch einen Haufen Geld. Das hätte doch anderswo mindestens wenn nicht mehr. Hatte nicht erst gestern ein Nachbar im Haus, ein gutsituierter Arzt (wer sich neuerdings alles bei Aldi auskennt, man staunt ja immer wieder), auf Stichwort die Geschichte von der Witwe (»Veuve«) erzählt und wie der No-Name-Schampus à l’Aldi die Fachwelt überrumpelt habe. Desgleichen der Franken-Boxbeutel, der bei Aldi für fünf Mark im Regal stehe, während er noch in der günstigsten Weinhandlung minimum 11 bis 14 Mark koste. Das lege doch, hatte er weiter ausgeführt, den Verdacht nahe, daß bereits weite Teile der Anbaugebiete der Firma gehörten. Meine Rede, dachte er, meine Rede. So wie er damals beim sogenannten Milliardenkredit für die DDR der festen Überzeugung gewesen war, daß sich nach einem möglichen Mauerfall (den er andererseits für ausgeschlossen gehalten hatte), weite Teile der DDR als Kernland der Marianne-Strauß-Stiftung entpuppen würden. Was sie dann nicht taten, aber das ist eine andere Geschichte. – Er mußte dann gestehen, daß der soeben kredenzte Verdicchio dei Castelli di Jesi naturgemäß aldianischer Provenienz sei. Irgendwie ja eine schreckliche Vision: »Er ist in der Provinz Ancona in dem Gebiet ›Castelli di Jesi‹ unweit der Adriaküste heimisch.« Was wäre, wenn weite Teile Arkadiens in der Hand der Albrecht-Brüder wären? Joschka und alle Kohorten der Toskana-Fraktion auf deutschem Gebiet? Los jetzt, weiter, die Toskana ist weit weg, und dort gibt es keinen Aldi –
    Was war denn dort vorne los? Gab es da etwas umsonst, oder wie sollte er den Auflauf deuten? Ah, zu früh gefreut, es schien sich nur um den Rückstau von der Kasse zu handeln. Schon hier, noch in Reichweite der Kühlregale? Wieder mal keiner an der Kasse was, das lobt sich der Kunde, Laden voll und die nicht vorhandenen Mitarbeiter in der Mittagspause. Na gut, dann vielleicht doch noch den neuen Vanille-Joghurt testen, »probiotisch«, klingt unheimlich betroffen irgendwie, denkt er, so demetermäßig, so anthroposophoid. Immerhin nur Nullneunundfünfzig, dafür unnatürlich in diesem

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