Die Aldi-Welt
hervorlugt, sich dienstfertig über die Dosenbohnen beugt, sich fragend umwendet, wieviel er nehmen soll – und, ah, die Frau Nachbarin, habe die Ehre, während sie ihm mit einer knappen Bewegung aus dem Unterarm heraus mit drei Fingern die Zahl der aufzunehmenden Dosen anzeigt und den Plausch weiterführt. Mach mal, Vati, hier bin ich der Boß, du hast lange genug den Patriarchen geben dürfen. Jetzt wird zurückinfantilisiert. Die letzten Jahre (sollen es Jahrzehnte werden? Ja, doch) gehören mir. Die Nachbarin ist eine noch junge Frau, aber doch schon ausreichend mit dem Leben in Kontakt gekommen; sie hat zwei entzückende Kinder, die etwas unbeholfen sich nicht entscheiden können, ob sie der Einkauf nervt, ob sie an Mutters Hosenbeinen kleben oder in den Tiefen des Warenparadieses verschwinden sollen. Und obschon die Frau adrett zurechtgemacht ist, mit Kurzhaarschnitt und betont witzigem Pony, flachen Sportschuhen und knöchellanger Bundfaltenhose zu weißer Baumwollbluse, also ganz offensichtlich auf sich hält, hat sie doch einen leichten Zug ins Frustrierte, etwas, das die eigentlich hübschen Mundwinkel eine winzige Idee zu weit nach unten zieht, als wäre ihr Dasein die Fortsetzung eines fortwährenden Opfergangs zwischen Frühstück, Kinderanziehen, Einkaufstouren, Kochroutine. Schatten vergangener Mädchenblüte. Supermarktdasein. Und der Kunde, der sich fast schon wie ein Voyeur vorkommt, weil er die Szene über Gebühr lange betrachtet, fühlt sich mit einem Mal von etwas überwältigt, das ihn wie eine Riesenfaust aufs Gemüt hämmert, eine Gewißheit von Alltag und Vergänglichkeit, eine Welle aus Sicherheit und Ekel: Ja, alles, was wir hier tun, das Aufladen und Hinausbefördern der immergleichen Gegenstände ist unauslöschlich mit uns verbunden. Es ist Teil von uns, denkt er, so wie wir Teil von ihm sind. Es ist nicht damit getan, husch-husch nebenbei in einen Supermarkt zu sausen und noch schnell dies und das zu besorgen. Wir betreten immer wieder ein Testgelände unserer Existenz, ein Spielfeld, das wir zu kennen glauben, weil wir wissen, wo das Los-Feld liegt, weil wir glauben, die Spielregeln begriffen zu haben. In Wahrheit betreten wir das Feld, und eine imaginäre Spielerhand übernimmt die Führung, verschiebt uns hierhin und dorthin, kegelt uns in die Ecke, ohne ersichtlichen Grund, zwingt uns in die Schlange, ohne den Hauch einer Fluchtmöglichkeit. Gewürfelt wird, solange Figuren auf dem Brett sind; alle müssen hinaus aus dem Laden, je länger das Spiel dauert, desto schneller muß es im Endspiel gehen. Gewinnen tut immer der Spielführer, der, der die Regeln aufgestellt hat. Die Steinchen kollern hierhin und dorthin, manche schnellen sofort, wie in einem Flipperkasten, von links unten von ganz oben durch die Mitte – das ist die Ausnahme, das sind die Glücksvögel oder die Dummen, die ihr Spielgeld vergessen haben. Der Rest wird gebeutelt und auf gezackten Linien durch das vermeintlich durchsichtige Labyrinth geschleust, so lange bis er reif ist, in die Abrechnungsgerade zu gehen. Aber dann hat er seine Schuldigkeit schon getan, dann wartet nur noch der Croupier. Aber der nimmt kein Spielgeld, der will echte Chips, harte D-Mark. Rien ne va plus: Wer zuviel genommen hat, muß Federn lassen. Die stehen dann als memento mori inmitten der letzten Aufgebote: Solitäre des Zuviel, Sonnenmilch inmitten von Pralinenbergen, ein einsames Olivenöl neben dem Weltempfänger, ein Weinbrand neben Videokassetten. Das ist noch Zukunftsmusik für das bürgerliche Ehepaar, das sich gerade aus dem Dosenbohnenfeld befreit. Er streckt sich, stopft unauffällig das Hemd in die Hose, versenkt die drei Blechzylinder am Boden des Drahtgeflechts, nimmt Witterung auf – unnötig, wie sich zeigt. Sein Marshall ist schon vorangeschritten, begutachtet mit einem diskreten Pinzettengriff die Avocados von gegenüber, aha, steinhart, na werden schon noch nachreifen, andererseits: was sollen wir mit dem exotischen Gemüse, also besser weiter. Da gehen sie hin, und der Kunde blickt ihnen aus seiner Deckung, hinter Salz und Senf, versonnen nach.
Die Brüder
Sie galten jahrelang als die reichsten Männer Deutschlands. Und es ist sehr gut möglich, daß sie das noch immer sind. Aus Gründen, die nicht mitgeteilt werden, sind die Albrechts auf der zuletzt veröffentlichten Liste (Stand Juli 1997) der reichsten Menschen der Welt, die das amerikanische Magazin Forbes alle Jahre aus Sozialneidgründen
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